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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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das Leben unerträglich machte. Ihre Mutter, ganz ihrem Sinnenrausch hingegeben, brauchte ihre letzte Kraft zur Selbstverteidigung und war dadurch völlig gleichgültig geworden; sie war sogar glücklich, daß die Tochter aus dem Hause ging, hoffte sie doch, daß Pierre, da er nun keinen Grund zur Unzufriedenheit mehr fände, sie friedlich und nach ihrem Willen leben lassen würde. Kaum waren die jungen Leute verheiratet, da sah Mouret schon ein, daß er Plassans verlassen müsse, wenn er nicht tagtäglich unfreundliche Worte über seine Frau und seine Schwiegermutter hören wollte. Er ging also fort, zog mit Ursule nach Marseille, wo er in seinem Gewerbe arbeitete. Er hatte übrigens keinen Sou Mitgift verlangt. Als Pierre, überrascht von dieser Uneigennützigkeit, einige Erklärungen zu stammeln versuchte, hatte ihm Mouret das Wort abgeschnitten und gesagt, er ziehe es vor, seine Frau durch seiner Hände Arbeit zu ernähren. Der würdige Sohn des Bauern Rougon war seitdem beunruhigt; diese Handlungsweise schien ihm irgendwie verdächtig.
    Blieb noch Adélaïde. Um nichts in der Welt wollte Pierre länger mit ihr zusammen wohnen. Sie machte ihm Schande. Mit ihr hätte er gern den Anfang gemacht. Doch befand er sich in der Klemme zwischen zwei höchst unangenehmen Möglichkeiten: behielt er sie im Hause, so hieß das, sich weiter mit ihrer Schande belasten, sich einen Klotz ans Bein binden, der den kühnen Flug seines Ehrgeizes lähmen würde; verjagte er sie aber, so würde man ganz gewiß mit Fingern auf ihn zeigen als auf einen schlechten Sohn, und das hätte seine berechnenden Absichten, als Biedermann zu erscheinen, über den Haufen geworfen. Da er spürte, daß er alle Welt brauchte, wünschte er, seinem Namen in ganz Plassans wieder Ansehen zu verschaffen. Dazu gab es nur ein einziges Mittel: Adélaïde mußte dazu gebracht werden, freiwillig zu gehen. Pierre versäumte nichts, um dieses Ziel zu erreichen. Durch das liederliche Leben seiner Mutter glaubte er sich für seine Hartherzigkeit vollkommen entschuldigt. Er strafte sie, wie man ein Kind straft. Die Rollen waren vertauscht. Die arme Frau beugte sich unter diese ständig erhobene Zuchtrute. Sie war kaum zweiundvierzig Jahre alt und hatte das angstvolle Stammeln, das verstörte, unterwürfige Wesen einer kindisch gewordenen Greisin. Ihr Sohn fuhr fort, sie mit seinen harten Blicken umzubringen in der Hoffnung, daß es eines Tages mit ihrem Mut zu Ende sein und sie darin entfliehen werde. Die Unglückliche litt entsetzlich unter Scham, unterdrückter Begierde, hingenommenen Niederträchtigkeiten, und doch ließ sie widerstandslos alle Schläge über sich ergehen und kehrte trotzdem wieder zu Macquart zurück, bereit, lieber auf der Stelle zu sterben als abzulassen. Es gab Nächte, in denen sie am liebsten aufgestanden wäre, um sich in die Viorne zu stürzen, hätte das schwache Fleisch der nervenkranken Frau nicht eine entsetzliche Angst vor dem Tode gehabt. Manchmal träumte sie davon, zu fliehen und ihren Liebhaber an der Grenze aufzusuchen. Was sie im Hause unter dem verachtungsvollen Schweigen und den heimlichen Roheiten ihres Sohnes zurückhielt, war, daß sie nicht wußte, wohin sie sich flüchten solle. Pierre fühlte, daß sie schon längst auf und davon gegangen wäre, wenn sie einen Zufluchtsort gehabt hätte. Er wartete auf eine Gelegenheit, ihr irgendwo eine kleine Wohnung zu mieten, als ein Zufall, auf den er nicht zu hoffen gewagt hatte, ganz plötzlich die Verwirklichung seiner Wünsche herbeiführte. Man erfuhr in der Vorstadt, Macquart sei soeben an der Grenze von einem Zollwächter erschossen worden, als er gerade eine ganze Ladung Genfer Uhren nach Frankreich einschmuggeln wollte. Das Gerücht stimmte. Man brachte nicht einmal die Leiche des Schmugglers nach Plassans zurück; er wurde irgendwo auf einem kleinen Dorffriedhof in den Bergen begraben. Der Schmerz Adélaïdes äußerte sich in völliger Stumpfheit. Ihr Sohn, der sie neugierig beobachtete, sah sie nicht eine einzige Träne vergießen. Macquart hatte sie zu seiner Erbin gemacht. Sie erbte das Häuschen in der SaintMittre Sackgasse und die Flinte des Verstorbenen, die ein andrer Schmuggler, der den Kugeln der Zollwächter entkommen war, ihr ehrlicherweise zurückbrachte. Schon am nächsten Tage zog sie sich in das Häuschen zurück; sie hängte die Flinte über den Kamin und lebte nun hier, abgeschlossen von der Außenwelt, einsam und stumm.
    Endlich war Pierre Rougon allein

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