Das Glück der Familie Rougon - 1
Frauenzimmer zu sein. Andererseits gab sie den Kampf nicht auf; sie hatte sich vorgenommen, eines Tages die ganze Stadt durch unerhörtes Glück und außerordentlichen Prunk vor Neid zum Bersten zu bringen. Und wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, ihr Leben auf einer größeren Bühne abspielen zu lassen, wo sich ihr durchdringender Verstand frei hätte entfalten können, so würde sie sicher ihren Traum bald verwirklicht haben. Ihr Verstand war dem anderer Mädchen ihres Standes und ihrer Bildung weit überlegen. Böse Zungen behaupteten, ihre Mutter, die einige Jahre nach ihrer Geburt gestorben war, sei in der ersten Zeit ihrer Ehe sehr eng mit dem Marquis de Carnavant befreundet gewesen, einem jungen Adligen aus dem SaintMarcViertel. In der Tat hatte Félicité die Hände und Füße einer Marquise, wie sie dem arbeitenden Stand, aus dem sie herstammte, nicht zuzukommen schienen.
Die Altstadt wunderte sich einen ganzen Monat lang darüber, daß sie Pierre Rougon heiratete, diesen halben Bauern, diesen Mann aus der Vorstadt, dessen Familie nicht gerade im Geruch der Heiligkeit stand. Sie ließ die Leute reden und nahm mit eigentümlichem Lächeln die zurückhaltenden Glückwünsche ihrer Freundinnen entgegen. Ihre Rechnung war gemacht: sie wählte Rougon zum Gatten, wie man einen Komplicen wählt. Ihr Vater sah, als er den jungen Menschen in seine Familie aufnahm, einzig den Zuwachs von fünfzigtausend Francs, der ihn vor dem Bankrott rettete. Félicité aber halte schärfere Augen. Sie schaute in die ferne Zukunft, und sie fühlte, daß sie einen gesunden Mann, sogar einen etwas bäurischen, brauchte, hinter dem sie sich verstecken und dessen Arme und Beine sie nach Belieben in Bewegung setzen konnte. Sie hegte einen wohlbegründeten Haß gegen die Provinzherrchen, jenes saft und kraftlose Volk der Notariatsschreiber, der zukünftigen Rechtsanwälte, die mit Zittern auf eine Praxis hoffen. Da sie ohne die geringste Mitgift auf die Verbindung mit einem reichen Kaufmannssohn verzichten mußte, zog sie einen Bauern, aus dem sie ein willfähriges Werkzeug zu machen hoffte, tausendmal einem armseligen Studierten vor, der sie mit seiner höheren Bildung erdrücken und sie auf der Jagd nach eitlen Nichtigkeiten jämmerlich durchs Leben schleppen würde. Sie war der Ansicht, daß die Frau den Mann formen müsse. Sie traute sich zu, aus einem Kuhhirten einen Minister zu machen. Was sie für Rougon einnahm, war seine breite Brust, der untersetzte Körper, dem es dennoch nicht an einer gewissen Eleganz mangelte. Ein so gebauter Bursche mußte wohl mit kecker Leichtigkeit die Welt von Intrigen auf die Schultern nehmen, die sie ihm aufzubürden gedachte. Wenn sie die Körperkraft und die Gesundheit ihres Gatten schätzte, so hatte sie außerdem bemerkt, daß er durchaus kein Schwachkopf war; sie hatte in dem schweren Körper die tückische Wendigkeit seines Geistes erspürt. Aber sie war weit davon entfernt, ihren Rougon wirklich zu kennen; sie hielt ihn immer noch für dümmer, als er war. Als sie wenige Tage nach ihrer Heirat zufällig in der Schublade eines Schreibtisches kramte, fand sie die von Adélaïde unterzeichnete Empfangsbestätigung über die fünfzigtausend Francs. Sie begriff und erschrak; ihrer halbwegs ehrlichen Natur widerstrebten derartige Mittel. Ihr Entsetzen war jedoch mit einer Art Bewunderung gemischt. Rougon wurde hierdurch in ihren Augen ein sehr tüchtiger Mann.
Das junge Paar machte sich tapfer daran, ein Vermögen zu erwerben. Die Firma Puech & Lacamp war weniger gefährdet, als Pierre gedacht hatte. Die Schuldsumme war gering, es fehlte nur an Geld. In der Provinz ist der Handel vorsichtig in seinem Gebaren, und das bewahrt ihn vor großen Katastrophen. Die Herren Puech und Lacamp gehörten zu den sehr umsichtigen Leuten; sie zitterten, wenn sie tausend Taler aufs Spiel setzen sollten. Daher hatte ihr Geschäft, ein wahres Loch, nur sehr geringe Bedeutung. Die fünfzigtausend Francs, die Pierre mitbrachte, genügten, um die Schulden zu bezahlen und dem Geschäft gleichzeitig eine größere Ausdehnung zu geben. Der Anfang war günstig. Drei Jahre hintereinander gab es reiche Olivenernten. Mit einem Wagemut, der Pierre und den alten Puech seltsam erschreckte, veranlaßte Félicité die beiden, eine beträchtliche Menge Öl zu kaufen, es zusammenzuhamstern und einzulagern. Die junge Frau hatte richtig vorausgeahnt: in den beiden folgenden Jahren gab es eine Mißernte, die Ölpreise gingen stark
Weitere Kostenlose Bücher