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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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krampfte sich ihr das Herz schrecklich zusammen. Bei andern Leuten wohnen ist in der Provinz ein Eingeständnis der Armut. Jede wohlhabende Familie in Plassans besitzt ein eigenes Haus, denn Grundstücke sind dort sehr billig. Pierre hielt den Daumen fest auf dem Säckel; er wollte nichts von Verschönerungen hören, die alten, verblichenen, abgenützten, wackligen Möbel mußten weiterdienen, ohne auch nur instand gesetzt zu werden. Félicité verstand die Gründe dieser Knauserei übrigens sehr gut und gab sich alle erdenkliche Mühe, dem ganzen Gerümpel einen neuen Glanz zu verleihen; einige besonders schadhafte Möbel nagelte sie selbst zusammen, sie flickte den zerschlissenen Samt der Sessel.
    Das Eßzimmer, das ebenso wie die Küche nach dem Hof zu lag, blieb beinahe leer; ein Tisch und ein Dutzend Stühle verloren sich im Halbdunkel dieses großen Raumes, dessen Fenster auf die graue Mauer eines Nachbarhauses hinausging. Da nie jemand das Schlafzimmer betrat, verbarg Félicité dort alle Möbel, die nicht mehr gebraucht wurden; außer dem Bett, einem Kleiderschrank, einem Schreibtisch und einer Frisiertoilette sah man dort zwei aufeinandergestellte Wiegen, ein Büfett, an dem die Türen fehlten, und einen völlig leeren Bücherschrank, lauter ehrwürdigen Trödel, von dem sich die alte Frau nicht hatte trennen können. Dagegen galt ihre ganze Sorge dem Salon. Es gelang ihr beinahe, einen bewohnbaren Raum daraus zu machen. Er war ausgestattet mit Möbeln, in deren gelblichen Plüschbezug Atlasblumen eingewebt waren. In der Mitte befand sich ein einfüßiger Tisch mit einer Marmorplatte. Konsolen mit Spiegeln darüber standen an den beiden Schmalseiten des Zimmers. Sogar ein Teppich war vorhanden, der allerdings nur die Mitte des Parketts bedeckte, und ein Kronleuchter in einer Hülle aus weißem Musselin, die die Fliegen mit schwarzen Punkten übersät hatten. An den Wänden hingen sechs Steindrucke, Darstellungen der großen Schlachten Napoleons. Diese Einrichtung stammte aus den ersten Jahren des Kaiserreichs. Als einzige Verschönerung erreichte Félicité, daß das Zimmer mit einer orangefarbenen Tapete mit großen Ranken neu tapeziert wurde. Auf diese Weise hatte der Salon eine eigentümliche gelbe Farbe bekommen, die ihn mit einem falschen, grellen Licht erfüllte; die Möbel, die Tapete, die Fenstervorhänge waren gelb, vom Teppich bis zum Marmor des Tischchens und der Konsolen spielte alles ins Gelbliche. Wenn die Vorhänge zugezogen waren, wirkten die Farben jedoch recht harmonisch, und der Salon machte beinahe einen guten Eindruck. Aber Félicité hatte einen ganz anderen Luxus erträumt. Mit stummer Verzweiflung betrachtete sie diese schlecht verhüllte Armseligkeit. Gewöhnlich hielt sie sich im Salon auf, dem schönsten Zimmer der Wohnung. Eine ihrer angenehmsten und zugleich bittersten Zerstreuungen war, sich an eines der Fenster dieses Raumes zu setzen, die auf die Rue de la Banne hinausgingen. Von hier aus sah sie schräg gegenüber den Platz der Unterpräfektur. Dort war das Paradies ihrer Träume. Dieser kleine, kahle, schmucke Platz mit den hellen Häusern erschien ihr wie der Garten Eden. Zehn Jahre ihres Lebens hätte sie dafür hingegeben, eine dieser Wohnstätten ihr eigen zu nennen. Namentlich das Haus an der linken Ecke, in dem der Steuerdirektor wohnte, hatte es ihr gewaltig angetan. Sie betrachtete es mit dem Verlangen einer Schwangeren. Manchmal, wenn die Fenster jener Wohnung offenstanden, gewahrte sie Teile kostbarer Möbel, das Aufschimmern eines Luxus, das ihr das Blut in Wallung brachte. Zu dieser Zeit machten die Rougons eine merkwürdige Krise der Eitelkeit und der unbefriedigten Begierden durch. Das wenige, was sie an guten Gefühlen besaßen, versauerte. Sie spielten sich als Opfer des Mißgeschicks auf, ohne sich damit abzufinden, erpichter und entschlossener denn je, nicht zu sterben, ehe sie ihr Verlangen gestillt hätten. Im Grunde gaben sie trotz ihres vorgeschrittenen Alters keine ihrer Hoffnungen auf; Félicité behauptete, ein Vorgefühl davon zu haben, daß sie als reiche Frau sterben werde. Aber mit jedem Tage lastete die Armut schwerer auf ihnen. Wenn sie ihre vergeblichen Anstrengungen überdachten, wenn sie sich die dreißig Jahre ihres Kampfes ins Gedächtnis riefen, die Abtrünnigkeit ihrer Kinder, und wenn sie sahen, daß alle ihre Luftschlösser in diesem gelben Salon geendet hatten, dessen Vorhänge man schließen mußte, um seine Häßlichkeit zu

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