Das Glück der Familie Rougon - 1
verbergen, packte sie dumpfe Wut. Und um sich zu trösten, entwarfen sie dann Pläne, wie sie zu einem ungeheuren Vermögen kommen könnten, suchten sie Möglichkeiten: Félicité träumte davon, in einer Lotterie das große Los von hunderttausend Francs zu gewinnen; Pierre stellte sich vor, daß er irgendeine wunderbare Spekulation einfädeln werde. Sie lebten nur noch in einem einzigen Gedanken: reich zu werden, sofort, binnen weniger Stunden; reich sein, genießen, und wäre es auch nur für ein Jahr. Ihr ganzes Wesen strebte rücksichtslos und unaufhörlich danach. Und immer noch rechneten sie dabei halb auf ihre Söhne mit der Eltern eigenen Selbstsucht, die sich nicht an den Gedanken gewöhnen können, ihre Kinder ohne Nutzen für sich selber aufs Gymnasium geschickt zu haben.
Félicité schien gar nicht gealtert; sie war immer noch die kleine dunkle Frau, die nicht stillsitzen konnte, die umherschwirrte wie eine Zikade. Ein Vorübergehender, der sie von hinten auf dem Bürgersteig gesehen hätte, würde sie mit ihrem leichten Gang, ihren mageren Schultern und ihrer schlanken Taille für ein fünfzehnjähriges Mädchen gehalten haben. Selbst ihr Gesicht hatte sich kaum verändert, es war nur hohlwangiger geworden und glich immer mehr dem Schnäuzchen eines Marders. Ihr Kopf ließ an den eines kleinen Mädchens denken, der zu Pergament eingetrocknet war, ohne seine Züge zu verändern.
Was Pierre Rougon betrifft, so war dick geworden, ein recht würdiger Bürger, dem nur ein großes Einkommen fehlte, um durchaus würdig zu erscheinen. Sein schwammiges, bleiches Gesicht, seine Schwerfälligkeit, seine verschlafene Miene schienen den Reichtum nur so auszuschwitzen. Eines Tages hörte er, wie ein Bauer, der ihn nicht kannte, sagte: »Dieser Dicke da muß ein reicher Kerl sein. Der ist gewiß nicht in Sorge um sein Mittagessen!« Eine Bemerkung, die ihn mitten ins Herz traf, denn er betrachtete es als einen grausamen Scherz des Schicksals, daß er ein armer Teufel geblieben war, obwohl er sich den Speck und die zufriedene Würde eines Millionärs zugelegt hatte. Wenn er sich des Sonntags vor dem kleinen Spiegel zu fünf Sous, der an einer Fensterklinke hing, rasierte, sagte er sich, daß er in Frack und weißer Binde bei dem Herrn Unterpräfekten eine bessere Figur abgeben würde als dieser oder jener höhere Beamte von Plassans. Dieser Bauernsohn, den die Geschäftssorgen bleich und die sitzende Lebensweise fett gemacht hatten, der seine gehässigen Begierden unter der natürlichen Ruhe seiner Züge verbarg, hatte tatsächlich das nichtssagende, feierliche Gesicht, die einfältige Gewichtigkeit, die einem Mann in einem offiziellen Salon Ansehen verleihen. Man behauptete, seine Frau führe ihn am Gängelband, aber man irrte sich. Er war von einem tierischen Eigensinn; angesichts des klar ausgesprochenen Willens eines anderen hätte er sich zu groben Tätlichkeiten hinreißen lassen. Félicité war jedoch zu schlau, um gegen ihn offen aufzutreten, der lebhaften Schmetterlingsnatur dieser Zwergin lag es nicht, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen; wenn sie etwas von ihrem Mann erreichen oder ihn auf einen Weg drängen wollte, den sie für besser hielt, so umschwärmte sie ihn mit ihrem wendigen Zikadenflug, stichelte ihn von allen Seiten, erneuerte ihren Angriff hundertmal, bis Pierre endlich nachgab, ohne es selber richtig zu merken. Er spürte übrigens, daß sie ihm geistig überlegen war, und ließ sich ihre Ratschläge ziemlich geduldig gefallen. Félicité, nützlicher als die Fliege der Kutsche25, tat manchmal ihre Arbeit, indem sie um Pierres Ohren summte. Aber – und das ist eine große Seltenheit – die Eheleute warfen einander fast nie ihre Mißerfolge vor. Nur die Frage der Ausbildung ihrer Kinder pflegte häusliche Gewitter zu entfesseln.
Die Revolution von 1848 traf also alle Rougons in erwartungsvoller Spannung, verzweifelt über ihr Mißgeschick und gewillt, dem Glück Gewalt anzutun, falls sie es jemals an einer Wegbiegung treffen sollten. Sie waren eine Familie von Wegelagerern im Hinterhalt, bereit, die Ereignisse rücksichtslos auszunutzen. Eugène lag in Paris auf der Lauer; Aristide träumte davon, ganz Plassans zu erdrosseln; Vater und Mutter, vielleicht die Gierigsten von allen, gedachten, auf eigene Rechnung zu arbeiten und außerdem aus der Arbeit ihrer Söhne Nutzen zu ziehen; einzig Pascal, dieser stille Liebhaber der Wissenschaft, führte in seinem kleinen hellen Haus in der Neustadt
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