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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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des Innenministeriums mitzuteilen; er habe soeben, versicherte Granoux, die Stadt verlassen, und der Bürgermeister habe dafür gesorgt, daß die Depeschen angeschlagen wurden. Dies ist vielleicht der einzige Unterpräfekt in ganz Frankreich, der den Mut besessen hat, für seine demokratische Überzeugung einzustehen.
    Wenn die feste Haltung des Herrn Garçonnet die Rougons heimlich beunruhigte, machten sie sich desto mehr über die Flucht des Unterpräfekten lustig, der ihnen den Platz räumte. An diesem denkwürdigen Abend wurde beschlossen, daß der Kreis des gelben Salons den Staatsstreich anerkenne und sich offen mit den vollendeten Tatsachen einverstanden erkläre. Vuillet wurde beauftragt, unverzüglich einen Artikel in diesem Sinne zu schreiben, den die »Gazette« am folgenden Tag bringen sollte. Er und der Marquis erhoben keinerlei Einwendungen. Ohne Zweifel hatten sie diesbezügliche Weisungen von den geheimnisvollen Persönlichkeiten erhalten, auf die sie manchmal ehrfurchtsvoll anspielten. Der Klerus und der Adel hatten sich schon darein ergeben, den Siegern Beistand zu leisten, um den gemeinsamen Feind, die Republik, zu zerschmettern.
    Während man an diesem Abend im gelben Salon beratschlagte, brach Aristide der kalte Schweiß aus. Kein Spieler, der sein letztes Goldstück auf eine Karte setzt, hat je eine solche Angst ausgestanden. Der Rücktritt seines Vorgesetzten gab ihm den ganzen Tag über viel zu denken. Wiederholt hatte er ihn sagen hören, daß der Staatsstreich keinerlei Aussicht auf Erfolg habe. Dieser Beamte glaubte in seiner engstirnigen Ehrlichkeit an den Endsieg der Demokratie, ohne jedoch den Mut aufzubringen, durch Widerstand an diesem Sieg mitzuarbeiten. Aristide pflegte in der Unterpräfektur an den Türen zu horchen, um etwas Genaues zu erfahren; er fühlte, daß er im finstern tappte, und klammerte sich an die Nachrichten, die er in der Verwaltung erhaschte. Die Ansicht des Unterpräfekten überraschte ihn; aber er blieb ganz ratlos. Er dachte: Warum geht er denn, wenn er vom Mißerfolg des PrinzPräsidenten überzeugt ist? Da er jedoch gezwungen war, sich irgendwie zu entscheiden, beschloß er, weiter in der Opposition zu bleiben. Er schrieb einen sehr feindseligen Artikel gegen den Staatsstreich und trug ihn noch am selben Abend zum »Indépendant«, für die Nummer des nächsten Morgens. Er hatte die Korrekturfahnen des Artikels durchgesehen und ging dann, beinahe beruhigt, heimwärts, als er beim Überschreiten der Rue de la Banne unwillkürlich den Kopf hob und die Fenster der Rougons betrachtete. Sie waren hell erleuchtet.
    Was können sie wohl dort oben aushecken? fragte sich der Journalist mit unruhiger Neugier.
    Ein brennendes Verlangen packte ihn, die Meinungen des gelben Salons über die jüngsten Ereignisse zu erfahren. Er hielt recht wenig von den geistigen Fähigkeiten dieser reaktionären Gesellschaft, aber es stiegen wieder Zweifel in ihm auf; er war in einer Stimmung, in der man den Rat eines vierjährigen Kindes annehmen würde. Nach dem Feldzug, den er gegen Granoux und die andern geführt hatte, durfte er nicht daran denken, in diesem Augenblick die Wohnung seines Vaters zu betreten. Trotzdem stieg er die Treppe hinauf und dachte dabei an das sonderbare Gesicht, das der Vater machen würde, falls man ihn, Aristide, auf der Treppe überrasche. An der Tür der Rougons angelangt, konnte er nichts als ein dumpfes Stimmengewirr auffangen.
    »Ich bin wie ein Kind«, sagte er, »die Angst macht mich dumm!«
    Und er war im Begriff, wieder hinunterzugehen, als er die Stimme seiner Mutter hörte, die jemanden hinausbegleitete. Er hatte gerade noch Zeit, sich in einen dunklen Winkel unter einer kleinen Treppe zu drücken, die zum Dachgeschoß des Hauses führte. Die Tür ging auf, der Marquis erschien und hinter ihm Félicité. Herr de Carnavant pflegte gewöhnlich früher fortzugehen als die Rentiers der Neustadt, zweifellos, um ihnen nicht auf offener Straße die Hand geben zu müssen.
    »Nun, Kleine«, sagte er mit gedämpfter Stimme auf dem Treppenabsatz, »diese Leute sind noch feiger, als ich gedacht hätte. Bei solchen Männern wird Frankreich immer demjenigen gehören, der die Hand danach auszustrecken wagt.« Und bitter und wie im Selbstgespräch fügte er hinzu: »Die Monarchie ist entschieden zu anständig für die modernen Zeiten. Ihre Zeit ist vorbei.«
    »Eugène hatte seinem Vater diese Krise vorausgesagt«, meinte Félicité. »Der Sieg des Prinzen Louis

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