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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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aufmachen ging, herrschte Totenstille im Salon; all die bleichen, verängstigten Gesichter richteten sich auf die Tür. Völlig außer Atem, erschien der Diener des Kommandanten auf der Schwelle und sagte unvermittelt zu seinem Herrn: »Herr Kommandant, die Aufständischen werden in einer Stunde hier sein!«
    Das wirkte wie ein Blitzschlag. Alle fuhren in die Höhe, erhoben die Arme zur Zimmerdecke und schrien durcheinander. Während mehrerer Minuten war es unmöglich, sein eigenes Wort zu verstehen. Man umringte den Boten, man bedrängte ihn mit Fragen.
    »Zum Donnerwetter!« rief der Kommandant schließlich. »Schreien Sie doch nicht so! Ruhe, oder ich stehe für nichts mehr ein!«
    Alle sanken auf ihre Stühle zurück und seufzten tief. Nun erst konnte man Näheres erfahren. Der Bote hatte die Kolonne in Les Tulettes getroffen und sich beeilt, zurückzukehren.
    »Es sind mindestens dreitausend«, sagte er. »Sie marschieren wie Soldaten, in Abteilungen. Ich glaube, ich habe Gefangene unter ihnen gesehen.«
    »Gefangene!« schrien die entsetzten Bürger.
    »Gewiß«, unterbrach der Marquis mit seiner dünnen Stimme. »Ich habe mir berichten lassen, daß die Aufständischen Leute gefangennehmen, die für ihre konservative Gesinnung bekannt sind.«
    Diese Neuigkeit brachte die Leute im gelben Salon vollends aus der Fassung. Einige Bürger standen auf und schlichen sich heimlich aus der Tür, in dem Gedanken, daß ihnen gar nicht mehr viel Zeit blieb, ein sicheres Versteck ausfindig zu machen.
    Die Nachricht von den vorgenommenen Verhaftungen durch die Republikaner machte anscheinend großen Eindruck auf Félicité. Sie zog den Marquis beiseite und fragte ihn:
    »Was tun denn die Männer mit den Leuten, die sie gefangennehmen?«
    »Nun, sie führen sie mit sich«, antwortete Herr de Carnavant. »Sie werden sie als ausgezeichnete Geiseln betrachten.«
    »Ach!« erwiderte die alte Frau in eigentümlichem Ton.
    Sie verfolgte von neuem mit nachdenklichen Blicken das merkwürdige Schauspiel panischer Angst, das in ihrem Salon vor sich ging. Die Bürger verschwanden einer nach dem andern; bald waren nur noch Vuillet und Roudier da, denen die nahende Gefahr wohl neuen Mut verlieh. Granoux saß ebenfalls noch in seiner Ecke, seine Beine verweigerten ihm den Dienst.
    »Weiß Gott, das ist mir weit lieber«, sagte Sicardot, als er die übrigen Anhänger entfliehen sah. »Diese Hasenfüße gingen mir zuletzt auf die Nerven. Seit mehr als zwei Jahren reden sie davon, alle Republikaner der Gegend erschießen zu wollen, und heute würden sie ihnen nicht einmal eine Knallerbse ins Gesicht werfen.« Er nahm seinen Hut und wandte sich zur Tür. »Vorwärts!« rief er. »Die Zeit drängt … Rougon, kommen Sie!«
    Félicité schien auf diesen Augenblick gewartet zu haben. Sie warf sich zwischen die Tür und ihren Mann, der sich übrigens nicht gerade beeilte, dem schrecklichen Sicardot zu folgen.
    »Ich will nicht, daß du gehst!« schrie sie in erheuchelter jäher Verzweiflung. »Niemals gebe ich zu, daß du mich verläßt. Dieses Lumpengesindel würde dich umbringen!«
    Der Kommandant blieb erstaunt stehen.
    »Heiliges Donnerwetter!« schalt er. »Wenn die Frauen jetzt zu jammern anfangen … Rougon, kommen Sie doch!«
    »Nein, nein!« widersprach die alte Frau und mimte wachsendes Entsetzen. »Er wird Sie nicht begleiten, lieber hänge ich mich an seinen Rock!«
    Der Marquis war durch diesen Auftritt höchst überrascht und betrachtete Félicité mit Neugier. War das wirklich dieselbe Frau, die eben noch so heiter geplaudert hatte? Was für eine Komödie spielte sie denn? Indessen schien Pierre, seit seine Frau ihn zurückhielt, mit aller Gewalt das Zimmer verlassen zu wollen.
    »Ich sage dir, daß du nicht gehen wirst«, wiederholte die Alte und klammerte sich an seinen Arm. Und dann wandte sie sich an den Kommandanten: »Wie können Sie nur daran denken, Widerstand zu leisten? Jene sind dreitausend, und Sie bringen nicht hundert beherzte Männer auf die Beine. Sie werden sich alle unnötig hinschlachten lassen.«
    »Je nun, das ist unsere Pflicht!« entgegnete Sicardot ungeduldig.
    Félicité brach in Schluchzen aus.
    »Wenn sie ihn mir nicht umbringen, werden sie ihn gefangennehmen«, fuhr sie fort und sah dabei ihrem Mann fest in die Augen. »Mein Gott, was wird aus mir, ganz allein in einer aufgegebenen Stadt!«
    »Aber glauben Sie denn, daß wir nicht auch verhaftet werden, wenn wir den Aufständischen erlauben, ruhig in

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