Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
nichts anderes mehr. Das Fleisch, das ist für die Reichen. Es ist völlig unmöglich, auszukommen mit Kindern, die solch fürchterlichen Appetit haben.«
    Gervaise und Jean beugten die Köpfe über ihre Teller und wagten nicht mehr, sich ein Stück Brot abzuschneiden.
    Silvère, der im Himmel seiner Träume lebte, war weit davon entfernt, die Lage zu durchschauen. Ganz ruhig sprach er die gewitterschweren Worte:
    »Aber Onkel, Sie müßten eben arbeiten!«
    »Soso!« grinste Macquart, an seiner empfindlichsten Stelle getroffen. »Ich soll arbeiten, nicht wahr, damit diese Lumpen von reichen Leuten sich auch noch an mir bereichern? Ich würde vielleicht zwanzig Sous verdienen und dabei meine Gesundheit zugrunde richten. Das wäre gerade der Mühe wert!«
    »Man verdient, soviel man kann«, antwortete der junge Bursche. »Zwanzig Sous sind immerhin zwanzig Sous, und das hilft im Haushalt … Sie sind außerdem ehemaliger Soldat, warum bemühen Sie sich nicht um eine Anstellung?«
    Nun griff Fine ein, mit einer Unüberlegtheit, die sie bald bereuen sollte.
    »Das sage ich ihm alle Tage. So braucht zum Beispiel der Marktaufseher gerade eine Hilfe. Ich habe ihm von meinem Mann erzählt; er scheint uns gewogen zu sein …«
    Macquart schmetterte sie mit einem Blick nieder.
    »Geh, halt den Mund«, grollte er mit verhaltenem Zorn. »Diese Weiber wissen nicht, was sie sagen! Man würde mich gar nicht wollen. Man kennt meine politische Überzeugung viel zu gut.«
    Sooft man ihm eine Arbeit anbot, wurde er schrecklich gereizt. Trotzdem hörte er nicht auf, sich um Stellen zu bewerben, nur daß er jede, die man für ihn fand, unter Anführung der merkwürdigsten Gründe ausschlug. Wenn man ihn auf dieses Thema brachte, wurde er unausstehlich.
    Nahm Jean nach dem Essen eine Zeitung zur Hand, so hieß es: »Du tätest besser daran, schlafen zu gehen. Sonst stehst du morgen zu spät auf, und es gibt wieder einen verlorenen Arbeitstag … Wenn ich bedenke, daß dieser Tunichtgut letzte Woche acht Francs weniger nach Hause gebracht hat! Aber ich habe seinen Meister gebeten, ihm seinen Lohn nicht mehr auszuhändigen. Ich werde ihn selber in Empfang nehmen.«
    Jean ging schlafen, um nicht länger die Beschuldigungen seines Vaters anhören zu müssen. Er machte sich nicht viel aus Silvère; die Politik langweilte ihn, und er fand, daß sein Vetter »spinne«. Blieben dann nur noch die Frauen, und plauderten sie unglücklicherweise leise miteinander, nachdem sie den Tisch abgeräumt hatten, so schrie Macquart: »Oh, diese Faulenzerinnen! Gibt˜s denn nichts zu flicken hier? Wir laufen alle in Lumpen herum … Hör mal, Gervaise, ich war bei deiner Meisterin und habe dort nette Sachen erfahren. Du bist eine Herumtreiberin und ein Nichtsnutz!«
    Gervaise, ein großes Mädchen von über zwanzig Jahren, errötete, als sie in dieser Weise vor Silvère gescholten wurde. Dieser fühlte sich unbehaglich in ihrer Gegenwart. Eines Abends, als er in Abwesenheit seines Onkels erst spät gekommen war, hatte er Mutter und Tochter stockbetrunken vor einer leeren Flasche angetroffen. Seither konnte er seiner Kusine niemals begegnen, ohne das beschämende Bild vor sich zu sehen, wie das junge Mädchen mit ihrem lallenden Lachen und großen roten Flecken in dem armen blassen Gesichtchen dagesessen hatte. Auch die häßlichen Geschichten, die über sie im Umlauf waren, machten ihn befangen. Da er in mönchischer Keuschheit aufgewachsen war, schaute er sie manchmal von der Seite an mit dem ängstlichen Staunen eines Gymnasiasten, dem man eine Dirne vorsetzt.
    Während die beiden Frauen zur Nadel griffen und sich beim Ausbessern seiner alten Hemden die Augen verdarben, saß Macquart wohlig zurückgelehnt auf dem besten Sessel und schlürfte und paffte wie ein Mann, der sein Nichtstun genießt. Das war die Stunde, in der der alte Spitzbube die Reichen beschuldigte, den Schweiß des Volkes zu saufen. Er geriet in großartigen Zorn über die Herren der Neustadt, die in Trägheit dahinlebten und sich von den armen Leuten aushalten ließen. Die Brocken kommunistischer Anschauungen, die er morgens den Zeitungen entnommen hatte, wurden grotesk und ungeheuerlich, sobald sie aus seinem Munde hervorgingen. Er sprach von einer nahen Zeit, in der kein Mensch mehr zu arbeiten brauche. Seinen wütendsten Haß aber sparte er für die Rougons auf. Er konnte nun einmal die Kartoffeln nicht verdauen, die er gegessen hatte.
    »Ich habe Félicité, diese Gaunerin, heute

Weitere Kostenlose Bücher