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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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morgen in der Markthalle gesehen«, sagte er. »Sie kaufte ein Huhn … Hühnerbraten essen sie, diese Erbschleicher.«
    »Tante Dide behauptet«, erwiderte Silvère, »mein Onkel Pierre sei gut zu Ihnen gewesen bei Ihrer Heimkehr vom Militär. Hat er nicht eine beträchtliche Summe ausgegeben, um Sie einzukleiden und Ihnen ein Stube einzurichten?«
    »Eine beträchtliche Summe!« brüllte Macquart außer sich vor Zorn. »Deine Großmutter ist ja verrückt! Diese Banditen haben selber das Gerücht in die Welt gesetzt, um mich mundtot zu machen. Nichts habe ich bekommen!«
    Fine mischte sich abermals ungeschickt in das Gespräch, indem sie ihren Mann daran erinnerte, daß er zweihundert Francs, außerdem einen vollständigen Anzug und eine Jahresmiete erhalten hatte.
    Antoine schrie sie an, sie solle schweigen, und fuhr mit wachsender Wut fort:
    »Zweihundert Francs! Ist das wohl der Rede wert? Ich fordere, was mir zukommt, und das sind zehntausend Francs. Ach ja, und das elende Loch, in das sie mich geworfen haben wie einen Hund, und der alte Rock, den Pierre mir gegeben hat, weil er ihn nicht mehr tragen wollte, so schmutzig und kaputt war er!« Er log, aber niemand wagte mehr eine Widerrede bei diesem Wutausbruch. Dann fügte er, zu Silvère gewandt, hinzu: »Du bist wirklich noch recht einfältig, wenn du sie verteidigst! Sie haben deiner Mutter alles genommen, und die gute Frau wäre nicht gestorben, wenn sie die Mittel gehabt hätte, sich zu pflegen.«
    »Nein, Onkel«, widersprach der junge Bursche, »da haben Sie nicht recht. Meine Mutter ist nicht an mangelnder Pflege gestorben, und ich weiß, daß mein Vater niemals auch nur einen Sou von der Familie seiner Frau angenommen hätte.«
    »Ach was, laß mich in Frieden! Dein Vater hätte das Geld genauso genommen wie jeder andere. Wir sind schmählich ausgeplündert worden, und wir müssen wiederbekommen, was uns zusteht.« Und zum hundertsten Male begann Macquart die Geschichte von den fünfzigtausend Francs.
    Sein Neffe, der sie mit allen möglichen Ausschmückungen auswendig wußte, hörte ziemlich ungeduldig zu.
    »Wenn du ein Mann wärst, Silvère«, sagte Antoine zum Schluß, »würdest du eines Tages zu mir kommen, und wir würden einen schönen Radau bei den Rougons machen. Wir würden nicht eher weggehen, bis man uns Geld gegeben hätte.«
    Aber Silvère wurde ernst und antwortete sehr deutlich:
    »Wenn diese Elenden uns bestohlen haben, so ist das um so schlimmer für sie selber. Ich will nichts von ihrem Geld. Sehen Sie, Onkel, es steht uns nicht zu, unsere Verwandten zu bestrafen. Sie haben schlecht gehandelt, und sie werden das einmal furchtbar büßen.«
    »O du heilige Einfalt!« rief der Onkel. »Wenn wir erst einmal die Stärkeren sind, wirst du erleben, daß ich meinen Kram allein in die Hand nehme. Schön kümmert sich der liebe Gott um uns! Solche Drecksfamilie, solche Drecksfamilie wie unsere! Ich könnte vor Hunger krepieren, und dieses Pack würde mir nicht ein Stück trocken Brot zuwerfen.« War Macquart einmal bei diesem Gegenstand angekommen, so fand er kein Ende. Er zeigte die blutenden Wunden seines Neides unverhüllt. Er sah rot, sobald er nur daran dachte, daß er als einziger der Familie kein Glück gehabt hatte und daß er Kartoffeln essen mußte, während die andern Fleisch hatten, soviel sie nur wollten. Seine ganze Verwandtschaft bis zu den Großneffen herunter wurde durchgehechelt, und er fand Grund zu Klage und Drohung gegen jeden einzelnen von ihnen. »Jaja«, wiederholte er voll Bitterkeit, »sie würden mich wie einen Hund krepieren lassen.«
    Gervaise, ohne den Kopf zu heben, ohne die Nadel sinken zu lassen, meinte manchmal schüchtern:
    »Aber Papa, mein Vetter Pascal ist doch voriges Jahr sehr freundlich zu uns gewesen, als du krank warst.«
    »Er hat dich behandelt, ohne jemals einen Sou dafür zu verlangen«, sagte Fine, um ihrer Tochter zu Hilfe zu kommen, »und er hat mir oft ein Fünffrancsstück zugesteckt, damit ich dir Fleischbrühe kochen konnte.«
    »Der? Der hätte mich von sich aus zum Krepieren gebracht, wenn ich nicht so eine gute Natur besäße!« schrie Macquart. »Haltet das Maul, ihr Dummköpfe! Ihr würdet euch wie Kinder einwickeln lassen. Sie möchten mich alle tot sehen. Wenn ich wieder einmal krank bin, dann bitte ich mir aus, daß ihr nicht mehr meinen Neffen holt, denn es war mir schon unbehaglich genug, mich unter seinen Händen zu wissen. Er ist ein Armeleutedoktor, nicht einen einzigen

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