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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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trostlosen Augen. Wenn er dann glaubte, den armen Silvère genügend verwundet und aufgebracht zu haben, ging er endlich zur Politik über.
    »Man hat mir versichert«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »daß die Rougons einen bösen Anschlag vorbereiten.«
    »Einen bösen Anschlag?« fragte Silvère und spitzte die Ohren.
    »Ja, es heißt, daß in einer der kommenden Nächte alle gutgesinnten Bürger der Stadt verhaftet und ins Gefängnis geworfen würden.«
    Der junge Bursche bezweifelte das zunächst. Doch sein Onkel gab ihm genaue Einzelheiten: er sprach von aufgestellten Listen, nannte die Personen, die auf diesen Listen standen, wußte, wie, wann und unter welchen Umständen die Verschwörer zur Tat schreiten würden. Nach und nach ließ sich Silvère von diesen Altweibergeschichten fangen und geriet bald in Harnisch gegen die Feinde der Republik.
    »Diese Leute«, schrie er, »müßten wir alle unschädlich machen, wenn sie weiterhin das Vaterland verraten. Und was machen sie mit den Menschen, die sie einsperren?«
    »Was sie mit ihnen vorhaben?« antwortete mit einem kurzen, trockenen Auflachen Macquart. »Nun, sie werden sie in den unterirdischen Gefängnissen erschießen!« Und als ihn der Junge starr vor Entsetzen ansah, ohne eines Wortes fähig zu sein, fuhr Macquart fort: »Das sind nicht die ersten, die man dort hinmordet. Du brauchst nur abends hinter dem Gerichtsgebäude herumzustreichen, dann wirst du die Flintenschüsse und das Stöhnen hören.«
    »Oh, diese Verruchten«, murmelte Silvère.
    Nun begaben sich Onkel und Neffe auf das Gebiet der hohen Politik. Als Fine und Gervaise sahen, daß die beiden sich so ereiferten, gingen sie leise und unbemerkt ins Bett. Bis Mitternacht blieben die beiden Männer beisammen, besprachen die Nachrichten aus Paris, redeten von dem nahen und unvermeidlichen Kampf. Macquart schimpfte erbittert auf die eigenen Gesinnungsgenossen; Silvère träumte ganz laut und für sich allein seinen idealen Freiheitstraum. Es waren seltsame Unterhaltungen, während deren der Onkel unzählige Gläschen leerte und nach denen der Neffe, trunken vor Begeisterung, nach Hause ging. Indessen gelang es Antoine niemals, den jungen Republikaner zu einem hinterlistig berechneten Kriegsplan gegen die Rougons zu überreden. Umsonst suchte er ihn aufzustacheln, niemals hörte er aus seinem Munde etwas anderes als Berufungen auf die ewige Gerechtigkeit, die früher oder später alle Übeltäter bestrafen werde.
    Wohl sprach der hochherzige Bursche mit Feuer davon, daß er zu den Waffen greifen und die Feinde der Republik niedermachen wolle. Aber sobald diese Feinde nicht mehr Traumgestalten waren, sondern sich in der Person seines Onkels Pierre oder irgendeines Bekannten verkörperten, verließ er sich darauf, daß ihm der Himmel das Grauen vergossenen Blutes ersparen werde. Er würde den Verkehr mit Macquart, dessen wütender Neid ihm eine Art von Übelkeit verursachte, vermutlich gern aufgegeben haben, hätte er nicht bei ihm die Freude genossen, ungehindert von seiner geliebten Republik sprechen zu können. Jedenfalls bekam sein Onkel entscheidenden Einfluß auf sein Schicksal; durch seine unaufhörlichen Schmähreden reizte er Silvères Nerven und brachte es dahin, daß dieser heftig eine Entscheidung durch die Waffen herbeisehnte, die gewaltsame Eroberung des allgemeinen Glücks.
    Als Silvère das sechzehnte Lebensjahr erreichte, veranlaßte Macquart seine Aufnahme in den Geheimbund der Montagnards, jene mächtige Verbindung, die sich über den ganzen Süden Frankreichs erstreckte. Von diesem Augenblick an betrachtete der junge Republikaner die Flinte des Schmugglers, die Adélaïde über dem Kaminsims aufgehängt hatte, mit zärtlichen Blicken. Eines Nachts, während seine Großmutter schlief, reinigte er das Gewehr und setzte es instand. Dann hängte er es wieder an seinen Nagel und wartete ab. Und er wiegte sich in seinen prophetischen Träumen, baute an gigantischen Heldengedichten, sah homerische Kämpfe als Idealbild vor sich, eine Art von Ritterturnieren, aus denen die Verteidiger der Freiheit unter dem Beifall der ganzen Welt als Sieger hervorgingen.
    Macquart verlor trotz der Vergeblichkeit seiner Bemühungen keineswegs den Mut. Er sagte sich, daß er auch allein Manns genug sei, den Rougons den Garaus zu machen, wenn es ihm je gelänge, sie in die Enge zu treiben. Die Wut des neidischen und gierigen Faulenzers nahm noch zu, als ihn eine Reihe unvorhergesehener Umstände zwang,

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