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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wohlhabenden Menschen hat er unter seinen Patienten.« Macquart war im Zuge, er hörte nicht mehr auf. »Genauso ist es mit dieser kleinen Natter, dem Aristide«, sagte er, »der ist ein falscher Bruder, ein Verräter. Läßt du dich am Ende durch seine Artikel im ›Indépendant‹ fangen, Silvère? Du wärst ein schöner Einfaltspinsel. Sie sind nicht einmal in ordentlichem Französisch geschrieben, seine Artikel. Ich habe ja immer gesagt, dieser Schmuggelrepublikaner hat sich mit seinem ehrenwerten Vater zusammengetan, um uns zum besten zu haben. Du wirst sehen, wie er sein Mäntelchen nach dem Wind hängt! – Und sein Bruder, der berühmte Eugène, dieser Erzesel, von dem die Rougons soviel Aufhebens machen! Haben sie nicht die Frechheit, zu behaupten, er habe eine schöne Stellung in Paris? Ich, ich kenne sie, seine Stellung. Er ist in der Rue de Jerusalem50 angestellt; ein Spitzel ist er …«
    »Wer hat Ihnen das gesagt? Davon können Sie gar nichts wissen«, unterbrach Silvère, der in seinem geraden Sinn durch die verlogenen Anwürfe seines Onkels verletzt war.
    »So, ich weiß nichts davon? Glaubst du? Wenn ich dir sage, daß er ein Spitzel ist … Du wirst dich scheren lassen wie ein Schaf, mit deinem Wohlwollen. Du bist kein Mann. Ich will nichts Schlechtes über deinen Bruder François sagen, aber an deiner Stelle würde ich mich gründlich ärgern über die knickerige Art, mit der er sich dir gegenüber benimmt; er steckt in Marseille bis zum Hals im Geld und schickt dir nicht einmal ein lumpiges Zwanzigfrancsstück, damit du dir ein kleines Vergnügen machen kannst. Ich kann dir nur raten, dich nicht an ihn zu wenden, wenn es dir eines Tages schlecht gehen sollte.«
    »Ich brauche niemanden«, entgegnete der junge Bursche in stolzem und etwas erregtem Ton. »Meine Arbeit genügt für uns beide, für mich und für Tante Dide. Sie sind grausam, Onkel!«
    »Ich sage nur die Wahrheit, weiter nichts. Ich möchte dir die Augen öffnen. Unsere Familie ist eine Drecksfamilie, das ist traurig, aber es ist nun einmal so. Sogar der kleine Maxime, der Junge von Aristide, dieser Knirps von neun Jahren, streckt mir die Zunge heraus, wenn er mich sieht. Dieses Kind wird seine Mutter eines Tages schlagen, und das geschieht ihr recht. Geh, sag, was du willst, aber all diese Leute verdienen nicht, daß es ihnen gut geht. Doch so ist es immer in den Familien: Die Guten leben im Elend, und die Schlechten kommen zu Vermögen.«
    Diese ganze schmutzige Wäsche, die Macquart mit soviel Wohlbehagen vor seinem Neffen wusch, ekelte den Burschen zutiefst. Er wäre gern in seine Träume zurückgeflüchtet. Sobald er seine Ungeduld gar zu deutlich verriet, setzte Antoine alle Hebel in Bewegung, um ihn gegen seine Verwandtschaft aufzuhetzen.
    »Verteidige sie nur, verteidige sie!« sagte er und schien sich zu beruhigen. »Was mich betrifft, so habe ich mich, kurz gesagt, abgefunden. Ich will nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Wenn ich dir von all diesen Dingen erzähle, so geschieht das aus Liebe zu meiner armen Mutter, die wirklich von dieser ganzen Sippschaft in empörender Weise behandelt wird.«
    »Das sind schlechte Menschen«, bestätigte Silvère leise.
    »Ach! Du weißt von nichts, du hörst von nichts! Es gibt keine Beschimpfung, die die Rougons nicht gegen die gute Frau vorbrächten. Aristide hat seinem Sohn verboten, sie je zu grüßen. Und Félicité spricht davon, daß man sie in ein Irrenhaus einsperren müßte.«
    Der Bursche, so weiß geworden wie ein Leintuch, unterbrach seinen Onkel jäh:
    »Genug!« rief er aus. »Ich will nichts mehr davon hören! Das alles muß ein Ende nehmen.«
    »Nun, ich schweige, wenn dich das ärgert«, entgegnete der alte Gauner mit biederem Gesicht. »Aber es gibt doch Dinge, die du wissen solltest, wenn du nicht dastehen willst wie ein Trottel.«
    Macquart, der alles daransetzte, Silvère gegen die Rougons aufzuwiegeln, genoß eine köstliche Freude, wenn er mit seinen Reden dem Jungen Tränen des Schmerzes in die Augen trieb. Silvère war ihm vielleicht noch verhaßter als die andern, weil er ein ausgezeichneter Arbeiter war und niemals trank. Deshalb schärfte er noch seine spitzen Grausamkeiten und erfand die abscheulichsten Lügen, die den armen Burschen ins Herz trafen; dann weidete er sich mit der Wollust eines bösen Geistes, der seine Schläge wohlberechnet und sein Opfer an der empfindlichsten Stelle getroffen hat, an Silvères Blässe, am Zittern seiner Hände, an seinen

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