Das Glück der Zikaden
bleiben.
Er hielt am oberen Beckenrand an. Senta schwamm auf ihn zu und sah sein Gesicht, aus dem die Spannung des schnellen Schwimmens abfiel. Einen Ellenbogen auf dem Sandstein, als wollte er gleich hinausklettern. Ihr sofortiger Wunsch, daß sie noch lange so vertraut und ein wenig verschämt – zumindest sie –, so beiläufig und doch zielgerichtetmiteinander im Wasser waren. Ihr Rudern mit den Handflächen, ein Kräuseln der Wasseroberfläche, ein Gurgeln, kein Geschrei der Zikaden, die Männchen waren erschöpft, befriedigt, gefressen, wer wußte es schon.
Es wäre so einfach gewesen, das Tau, das sie verband, auszuwerfen, diesen Mann, den sie – das spürte sie gleichbleibend und ruhig wie ihren Herzschlag – liebte und den sie so einfach mit dem einen Satz hätte an Land holen können. Etwas hielt sie davon ab, obwohl sie durch den Rotwein schon nachlässig und weich geworden war. Auf keinen Fall wollte sie, daß er sich ihr in einer Art Mitleid näherte – du hast ein Kind von mir? Wie hast du’s geschafft, es aufzuziehen, ach, dafür Michael? Sie wollte, daß er sie sah, die Frau, die er einstmals begehrt hatte, geliebt hatte.
Gregor legte den Nacken auf die Kante, die Finger um den Sandstein und trat bedächtig das Wasser mit den Beinen. Senta sah ihn vom anderen Ende aus an, der Pool, der Garten, die Sukkulenten, selbst die Ölbäume, alles sehr klein unter der nächtlichen Kuppel.
»Ich nehme an, du kannst immer noch an irgend etwas glauben«, begann sie.
Er sagte nichts, er wollte wie sie keine Banalitäten, er ruderte nur mit den Beinen, sie schwamm ein bißchen, bis die Aufregung sich legte, daß sie eine Frage gewagt hatte, die über das, was sie bisher geredet hatten, hinauswies, sie wischte ein, zwei Wespen oder Fliegen zur Seite, er sagte: »Meine Einbildungskraft ist grenzenlos«, und ruderte weiter.
»Ich würd so gern«, sagte sie.
Sie schwamm, den Mund geschlossen, den Blick auf das in der Bewegung des Wassers klappernde Pumpentor gerichtet, wie es ein paar schwarze Flecken verschluckte, sie faßte mit einer Hand den Sandstein der Kante, drehte, stieß sich mit den Füßen an den riffligen Fliesen ab.
»Hattest du meinem Brief nicht geglaubt«, begann er,weiterhin mit den Beinen rudernd und auf der anderen Seite.
Sie berührte kurz mit den Zehenspitzen den Boden.
Er rutschte zurück in den Pool. Sie stieß mit dem Rücken an die Wand. Er schwamm langsam auf sie zu. Sie sah ihn näher kommen, sie suchte in seinem Gesicht, das immer noch diesen schönen, offenen, schlichten Ausdruck hatte – eine rudimentäre Anmut, sie suchte darin nach etwas, das sie lesen konnte. Er tauchte unter, sein verschwommener Körper, sie wünschte, er bliebe so lang unter Wasser wie ein Fisch, für immer, und sie gleich dazu, Fischen sah man nicht an, ob sie Angst hatten oder sich vor der Wahrheit fürchteten, Fische waren der Inbegriff der Emotionslosigkeit, die maximal ans Glas schwimmen und es küssen konnten.
Gregors flimmernde Gestalt wurde größer, mit weit ausholenden Armen kam er auf sie zu, tauchte auf, machte die letzten Schritte sicher und schnell. Er stand vor ihr, nur eine Armlänge entfernt. »Michael ist immer noch da«, sagte sie mit Blick auf die baden gegangenen Insekten.
»Ich hab auch nichts vor«, entgegnete Gregor.
»Es hat mit etwas ganz anderem zu tun«, begann sie, aber es war, als habe ihr Mann die Ohren im Spionagewald gepachtet, eins der Augen der nahe stehenden Bäume, er leuchtete von oben herab in ihre viel zu helle Nacht, und sie konnte nichts sagen, sie brachte es nicht über die Lippen, sie wünschte nur, sie könnte es, wie er, hineintauchen ins Leben. Er ließ sich hintenüber wieder ins Wasser fallen und schwamm auf dem Rücken von ihr fort.
›D u hast dieses schöne Sofa hier (und so solide)‹, las sie am Morgen auf dem Rand eines Werbeprospektes, der auf dem Küchentisch lag. ›Aber leider mag ich keine Sofas mehr, ich versink nicht gern in ihnen, vielleicht irgendwann, dann kann ich wiederkommen. Ignoranz (oder Überforderung?), was auch immer, es kratzt an meiner Zuversicht, von der ich weiß, daß ich sie mir bewahren will. Ich weiß, daß sich was ändert. Ich habe mehr als deutlich vor Augen, daß im Namen der meisten Ideologien, der mächtigen Religionen Verbrechen verübt werden – und das nicht, weil die Ideologie oder die Religion dies verlangen, sondern weil alle, die mitmachen, gefangen sind in den Denkstrukturen, sie glauben an die
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