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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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nötig hätten, deine Almosen erbetteln müßten.«
    »Es wird klappen«, sagte er leise, als sie im Dunkeln des Geschäfts auf der Couch lagen. »Und wohin?«, fragte sie flüsternd auf Russisch. Er gab keine Antwort, er mußte das Fenster öffnen, heute kam ihm der Raum noch stickiger vor als sonst. Er legte sich zurück auf die schmale Couch, er spürte ihren Körper, die Wärme, er wollte ihr nah sein. »Ein Kollege sagte gestern zu mir, daß wir als Russen und Juden ein Schicksal teilen. Ich bin da nicht ganz seiner Meinung, wir hatten aber keine Zeit, weiter miteinander zu reden, er sagte mir nur, wir könnten in seine Wohnung gehen. Er wird Berlin verlassen. Er werde nicht warten. Er geht, mit nur vier Koffern.«
    »Dann sollten wir das auch tun.«
    »Ich hab Arbeit, wir haben eine Wohnung, da gehen wir doch nicht wieder«, flüsterte er auf Russisch zurück.
    »Was sagen sie über einen Krieg?«
    »In Wenigers Wohnung steht ein Klavier, hättest du das gedacht?«
    »Was, Anton, was.«
    »Nichts sagen sie. Ein Klavier. Das ist doch was.«
    Sie setzte sich auf, spürte am Nacken die Scharfkanten eines Notenstapels, griff hinter sich, zog die Blätter heraus, knallte sie auf den Boden. Ein Geräusch wie ein dumpfer Knall.
    »Sch!« Er hob den Arm.
    Sie rutschte darunter hindurch, sprang vom Bett, eilte quer durch den Laden und quetschte sich am anderen Ende des Zimmers am Schreibtisch vorbei in die Ecke. Dort stand sie. Antons Blick war dunkel, umschattet vom wenigen Licht der Nachttischlampe, zwei Falten zwischen den Augenbrauen, der Mund stand ihm offen, dann schloß er ihn und schluckte so, daß sein Adamsapfel zuckte. Er schob seinen Körper mit einer seltsamen Trägheit unter die Decke.
    Von unten zog es kalt an ihr hoch.
    Irgendwann wurde sein Atem ruhig und gleichmäßig, ob er es spielte oder wirklich schlief, konnte sie nicht erkennen.
    Sie nahm ein Blatt Papier aus der Ablage neben sich, eine uralte Rechnung, sie schrieb auf die Rückseite: ›Ich verabscheute deine Naivität.‹ Sie stockte. Dann schrieb sie darunter: ›Ich verabscheute sie, und ich verteufle dein Schönreden der Welt, denn die Welt ist schrecklich und häßlich, eine einzige Fratze, und Deutschland eine Hölle, in der man nicht leben kann, dagegen ist Sibirien ein Mittelmeerparadies, aber du schließt die Augen und forderst mich auf, es genau wie du zu tun. Mich anzupassen, einzufügen, zu ducken. Wie soll ich das machen? Wie soll ich eine andere werden? Wenn ich es nicht will. Und es macht keinen Sinn, daß ich so werde wie du. Denn, ich liebe dich. Genau für das alles, was ich an dir auch so widerwärtig finde.‹
    Ein verschlüsselter Brief wieder, eine Nachricht aus einer Welt, in der Buchstaben Häuser waren, keine Notunterkünfte. Sie näherte sich der Couch, wachsam ob Antons Schlaf, löste den Reißnagel, an dem ihre Selbstermahnung hing, hielt den eben geschriebenen Brief davor und befestigte beides zusammen über dem Kopfende des Bettes.
    Sie schlich in die Kleiderkammer von Tante Ingje, breitete dort zwei Handtücher aus, sah dann den Tweed eines Mantels, das Chiffon eines Kleides, nahm sich alles von der Kleiderstange, was sie brauchte, um sich ein Bett zu machen, knüllte ein paar von Tante Ingjes besten Pullovern zu einem Kopfkissen und wachte erst am Morgen auf, als sie die Stimmen der Kinder im Badezimmer nebenan hörte.

S ie zogen in Samuel Wenigers Wohnung, die im ersten Stock eines Vorderhauses lag und die geräumige Wohnung eines Junggesellen war, der geschmackvoll zu leben wußte, ohne an irdischen Dingen zu hängen, denn er hatte ihnen die Kirschbaum-Möbel, die Perser und das kleine Biedermeiersofa, das Klavier und sämtliche Töpfe, Tassen, Teller und Pfannen, selbst Bettwäsche und Handtücher in den Schränken überlassen, ohne auf die Idee zu kommen, dem neuen, noch fremden Kollegen eine Inventarliste zu übergeben oder Anton zum Abschied zu sagen, was er an Miete zu zahlen habe. Nadja betrat die Wohnung noch einmal, nachdem Anton sie ihr gezeigt hatte und dann in die Redaktion gegangen war, sie schloß die eindrucksvolle Tür auf, trat ein, nahm den Geruch wahr, das Fremde, und konnte kurz die Wahrnehmung nicht unterdrücken, sich hier wohl zu fühlen. Die Kinder waren unten im Hof geblieben. Irgendetwas war rätselhaft in dieser Wohnung. Sie streifte herum, sah den Nippes in den Schränken, Nachttischschubladen, den dieser Herr Weniger zurückgelassen hatte, und wußte mit einem Mal, daß es der Geruch

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