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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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allem. Irrtümer waren, bei der Suche nach den wahren Volksfeinden, unvermeidlich. Es gab viele, sie tarnten sich gut. Sie jagten Fabriken in die Luft, brachten Züge zum Entgleisen, sie ermordeten Menschen. Unsere Sicherheit ist ein Trugbild, wir müssen kämpfen, um das zu bewahren, was wir haben. Gegen die Feinde des Volkes. Überall sind sie. Daher muß man sie suchen. Beim eiligen Suchen unterlaufen jedem Menschen Fehler.
    Sie saß auf dem kühlen Stein, hinter ihr gurgelte der Springbrunnen, eine Stimme, die sie heraushörte, je länger sie dort saß. Am Rande nur nahm sie wahr, wie ein Mädchen, das bei Peter und Senta stand, etwas fragte. Senta antwortete laut und mit unverkennbarem Stolz: »Hamburg.«
    »Hamburg?«, fragte das Mädchen, »Da kommt auch meine Cousine her. Die wohnt an der Alster. Und stolpert immer über den spitzen Stein.«
    »Wir haben auch an der Alster gewohnt.«
    »Wo denn?«
    »In der Straße Nummer 12.«
    »So heißt keine Straße«, sagte das Mädchen.
    »So hieß unsere Straße«, sagte Senta und schenkte ihrem Bruder einen geringschätzigen Blick.
    »Du weißt noch nicht einmal, wie eure Straße heißt«, sagte das Mädchen und ging.
    Als Senta ihre Mutter sah, wich sie ihr aus. Nadja wollte nach den Händen ihrer Kinder greifen, aber ihre Tochter stob weg. Nachdem sie ihres Abstands sicher war, trottete sieüber den Platz, sie hatte die schmalen Schultern ihres Vaters geerbt, und Nadja betrachtete den Knoten ihrer Schürze im Rücken, ihre geflochtenen Zöpfe, ihre leicht nach innen gestellten Knie. Sie war sehr dünn.
    »Ihr kommt aus Moskau«, sagte Nadja laut in den Rücken ihres Kindes. Als habe es kein Ohr mehr fürs Russische, trottete es weiter. »Wiederhole das«, sagte Nadja noch lauter. Senta begann, schneller zu gehen. Peter an Nadjas Hand fiel in einen Laufschritt, das stolpernde Eilen eines Kindes.
    »Und das wird immer so bleiben. Seid stolz darauf.«
    Senta zog mit beiden Händen die schmiedeeiserne Tür auf, wie eine Antwort das Quietschen der Scharniere. Schon lief sie über das Kopfsteinpflaster.
    »Nie im Leben«, schwor sich Senta, als sie das sichere Rechteck der Treppenstufe hoch zum Antiquariat betrat, nur aus den Augenwinkeln einen Blick zurück wagte, wo die Mutter auf der anderen Straßenseite stand, weit entfernt, ihren Bruder an der Hand. Als ginge ihr einen Moment die Luft aus, so stand Senta da. Das Fehlen der mütterlichen Zuneigung stach, wie an einem trockenen Wintermorgen, wenn man auf die Straße sprang, voller Tatendrang, in Erwartung anderer Spielgefährten, und die Luft wie Eis am Gaumen klebte, ein Schmerz bei jedem Atemzug.
    Anton kam an einem der nächsten Tage ins Geschäft und verkündete mit strahlendem Gesicht, er habe Arbeit. Die Tante war ganz Ohr, die Kinder auch, Nadja stand abseits und hörte, wie er es sich schönredete. »Es ist die größte und bedeutendste Zeitung in Berlin. Ein Tor von Eingang. Ein Portier. Eine große Treppe. Ich teile mir ein Büro mit vier anderen Journalisten. Wir berichten aus aller Welt. Wir sind die ersten, die die Neuigkeiten wissen. Wir müssen schnell arbeiten, manchmal in größter Eile, wenn noch etwas passiert, das in unsere Zeitung muß. Und ich werde sogar im Impressum stehen, ja, Anton Neudecker, Redakteur, wird dort stehen.«
    »Und in welchem Ressort wirst du schreiben?«, fragte die Tante spitzfindig. »Politik, Feuilleton?«
    »Aus aller Welt«, sagte Anton, und Nadja empfand einen Augenblick lang Mitleid mit ihm, dem Mann, der lächelnd, zum Frohsinn entschlossen, auf einem leeren Tisch ein Menü sehen wollte.
    »Also letzte Seite«, triumphierte Ingje in milder Stimmung.
    »Die Horoskope«, sagte er später zu Nadja, als sie in der Abgeschiedenheit des Ladens nah beieinander auf der Kante der Ausklappcouch saßen. »Dafür bin ich zuständig, aber sicherlich auch mal die eine oder andere Meldung, und es ist eine Arbeit. Ich kann jede Woche gekündigt werden, aber ich werde jede Woche bezahlt. Es ist ein Anfang, glaub mir, das ist es.«
    Er drehte sich zur Wand, das Sofa knarrte, Nadja betrachtete seinen Hals, den Stoff seines Schlafanzuges, sie berührte mit einem Finger seinen Haaransatz, fuhr daran entlang. Sie war fast erstaunt darüber, wie warm seine Haut war. Er drehte sich zu ihr. »Könntest du jetzt«, fragte er leise, »jetzt, wo ich eine Arbeit habe, ein Wort mit meiner Tante reden?«
    Sie schüttelte kaum merklich den Kopf.
    »Ich bring’s nicht über die Lippen«, sagte sie

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