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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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über das Wasser erheben. Er kann sich treiben lassen. Und er kann zugleich die Wellen befehlen. Nur eines bereitet den Wassermännern zuweilen Probleme. Sie sehen die Welt durch immernasse Augen. Das trübt den Blick. Sie beschäftigen sich gerne und zu viel mit den Untiefen, dem Schwarz des Meeres, das in jedem von uns vorhanden ist. Sie haben zu viel Mitgefühl, weinen mit anderer Leute Tränen. Sie sollten lieber wegschwimmen, eine andere Welle nehmen, sich nicht um die Klippen, den Abgrund kümmern. Das lege ich am heutigen Tage den Wassermännern, besonders denen, die ein weiteres Wasserzeichen im Aszendenten tragen, nahe.‹
    Er rollte den Teppich wieder aus und schob einen weiteren unter das Klavier, kaufte von einem Wochengehalt einen Klavierstuhl, wie Nadja ihn bevorzugte. Er schickte Samuel Weniger seine Briefe nach New York nach und legte Postkarten aus Berlin bei, auf denen er schrieb: ›Wir sind Ihnen zu sehr, sehr großem Dank verpflichtet. Vielleicht darf ich es so ausdrücken: Meine Frau macht auf mich den Eindruck, daß sie sich hier wohl fühlt. Das trägt zu meinem Wohlgefühl bei. Natürlich währt der Frieden nicht, wenn man draußen auf die Straße tritt. Ja, vielleicht ist es gut, daß Sie aufgebrochen sind in die Neue Welt, aber es ist nicht so schlimm, wie die Zeitungen schreiben. Nur wissen Sie das ja. Wer glaubt schon einer Zeitung.‹
    Er erzählte seinen Kindern jeden Abend aus dem Alltag in der Redaktion. Er machte das Tickern des Fernschreibers nach, er schmückte die Geschichten aus, die aus den entlegensten Ecken der Erde über dieses Gerät den Weg in ihr Büro fanden, er erzählte von Prinzessinnen, die Wunderheiler konsultierten, von Löwen im Dschungel, die mit Elefanten in Freundschaft lebten, von Indianern, die graubraune Felle trugen und auf graubraunen patagonischen Steinhügeln lebten, so daß Vorbeireisende nur ihre Feuer brennen sahen und meinten, das Land brenne von ganz allein, weshalb sie es Feuerland tauften. Von chinesischen Kaisern mit Armeen, in denen so viele Männer kämpften, wie Menschen in Berlin lebten. Er erfand Überschriften für Artikel, die ihm selbst gefielen, und als die Kinder ihn fragten, ob er das alles in der Zeitung geschrieben habe, sagte er ja.
    Mit dem Einmarsch Hitlers in Polen hörte er auf, die Zeitung mit nach Hause zu bringen. Nadja hatte im Treppenhaus durch das Raunen der Nachbarsfrau, der alten Dame Stachowiak, davon erfahren. Zarte, fein geknitterte Züge hatte Frau Stachowiak und lebte allein mit ihrer Tochter, zwei Stockwerke über ihnen. Nadja brachte die Kinder ins Bett, löffelte Kartoffel für Kartoffel auf einen Teller, Bohnen und Speck dazu, stellte den Teller vor Anton auf den Tisch, setzte sich und schaute ihm beim Essen zu. Er sagte im Flüsterton zwischen dem Kauen: »Das hat gar nichts zu bedeuten. Polen. Nicht Rußland. Wir sind Deutsche.« »Ich bin Russin«, flüsterte Nadja mit einer Schärfe, die Anton unwillkürlich dazu brachte, im Kauen innezuhalten. »Wir sind Deutsche, meine Eltern waren Deutsche, meine Großeltern, ihre Eltern. Den kleinen Ausflug, den sie in die Sowjetunion unternommen haben – daß sie dort begraben sind, das spielt keine Rolle. Auch daß du in Rußland geboren bist – völlig egal, denn wir sind jetzt in unsere Heimat im Herzen zurückgekehrt, um sie in schwierigen Zeiten zu unterstützen.«
    Nadja schloß die Augen, atmete heftig aus, hob den Blick an die Küchendecke. Er schnalzte, wie man einem Kind gegenüber maßregelnd schnalzt. Dann angelte er mit dem Fingernagel nach einem Bohnenfaden zwischen den unteren Zähnen.
    »Das ist die offizielle Geschichte.«
    »Zu wem stehst du?«
    Er hob den Blick, schaute zurück auf seine Hände, rechts und links, Gabel und Messer, der vollkommene Ausgleich, keine Seite war besser geeignet als die andere.
    »Zu niemandem«, sagte er leise und legte das Besteck auf der Kante des Tellers ab. »Ich will mich enthalten. Das ist nicht zuviel verlangt.«
    Sie betrachtete seine Verlegenheitsgeste, er zwirbelte jetzt den Rand einer Serviette zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Ich dachte, du liebst die Sowjetunion. Wenn schon die Kinder ihre Herkunft verleugnen, aber ich dachte, du bleibst unserer Heimat treu.«
    »Wie soll ich was lieben, was mich am Ende das Leben kostet.«
    Sie stand auf, verließ die Küche. Im Berliner Zimmer war es dunkel, die Gardinen zwei gewellte Streifen, in deren Tiefen immer etwas Verborgenes zu schlummern schien. Da, dieser

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