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Das Glück der Zikaden

Das Glück der Zikaden

Titel: Das Glück der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Boehning , Pößneck GGP Media GmbH
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linken, äußersten Rand des Grundstücks graben, es mit Steinen auskleiden und stellte die Urne dort aufrecht und ohne daß sie an die Wände stieß, hinein. Sie ließ das Grab mit einer zehn Zentimeter dicken Betonplatte verschließen, wie sie üblicherweise zum Bau von Dachkonstruktionen verwendet wurde, bezahlte den Argentinier, den Chilenen und den Schweiz-Kolumbianer mehr als großzügig und gewöhnte sich an, jeden Tag frische Bougainvillea-Blüten und die kleinen scharfzüngigen Peperoni vom Peperoni-Baum auf die Platte zu legen.
    Sie genoß es, große Töpfe mit Nudeln zu kochen, die Stimmen ihrer Kinder am Pool zu hören, das Aufklatschen ihrer Körper auf der Wasseroberfläche, das Sirren der Tennisschläger in der staubtrockenen Luft. Und vor allem genoß sie es, aus dem Anbau, den sie ihr Zimmer, den Michael die Garage genannt hatte, Katjuscha bei ihrem ununterbrochenen Klavierspiel zu hören. Ihre Tochter lehnte die Tür nur an, um Durchzug in der Hitze zu haben. Senta erwischte sich dabei, wie sie viele Stunden des Tages im Schatten des Anbaus auf einem der niedrigen Mäuerchen saß, die Füße im Kräuterbeet, den Salbei, die Petersilie, den Lavendel in der Nase, und selbstvergessen der Musik folgte. Es war, als redeten siemiteinander, ohne daß Worte gefunden, Sätze gebildet, Konventionen befolgt werden mußten.
    Dann reisten nacheinander Martin, Markus, Michi und Malte ab, jeweils gestaffelt um eine Woche, wohl in der Annahme, so ihrer Mutter den Übergang zum Alleinsein erträglicher zu gestalten. Senta mutmaßte, daß Katarina mit dem Pflichtgefühl der Tochter am längsten blieb, was aber nicht der Fall war. Katarina blieb, weil sie bleiben wollte. Sie hatte die Schule abgeschlossen und keinen blassen Schimmer, was nun kommen konnte, jenseits einer Struktur, die ihr vorgeschrieben worden war. Die einzige Struktur, die sie sich aus sich selbst heraus geben konnte, war die im Klavierspiel, und die war eher ein Fluidum, ein Hangeln auf Freitreppen durch einen luftleeren Raum. Ein Taumeln, Suchen, ohne Finden zu wollen. Weil es in dem Sinne nichts zu finden gab, geradeso, wie es längst schon überhaupt keine Notwendigkeit, keinen Nutzen oder Zweck, keinen benennbaren Sinn in ihrem Vorgehen mehr gab. Es war einfach das reine Spiel, das Tun um des Tuns willen.
    Also beherrschte sie alles in allem ausschließlich etwas, das sich bei aller Liebe nicht wirklich als strukturierte Tätigkeit hätte bezeichnen lassen können.
    Um dieser Tatsache nicht mehr als nötig ins Auge zu schauen, blieb sie auf dem Grundstück im Süden. In der schützenden Wärme der Tage, die sie träge werden ließ, und der Nächte, die tiefen Schlaf forderten. Es wurde zu einer erinnerungslosen Zeit, einer Zeit ohne lästige Vergangenheit und Zukunft, und ab und zu tauchte Michael hinter ihr im Zimmer auf, als flüchtige Kopie seiner selbst, dem Portrait an der Treppe im Eckhaus ähnlicher als der Erscheinung, die er in Wirklichkeit war, was ihr einen Schrecken einjagte, bis sie merkte, daß er im allgemeinen sofort wieder verschwand, wenn sie ihn mit seinem Namen ansprach.
    Senta schwankte dazwischen, die Nähe ihrer Tochter als angenehm oder bedrängend zu empfinden. Die Einsamkeit auf dem Grundstück auszuhalten, fiel ihr seit Michaels Tod schwer. Aber in der nächsten Sekunde stieß das Nebulöse, das von Katarina ausging, sie ab. Es ähnelte ihrer eigenen Weltabgewandtheit zu sehr. Dann wünschte sie sich eine pragmatische, im Leben stehende Tochter, die anpacken konnte, wenn es hieß, das Schlafzimmer umzuräumen, die Bücher abzustauben, die Küche zu putzen, die Finanzamtsunterlagen zu sortieren. Auf ihren abgelatschten, in der Mittelsohle löchrigen Sandalen durchstreifte Katarina das Grundstück, oft schwarz gekleidet und irgendwie ungelenk. Und obwohl Senta nicht schlecht darin war, Spiele anderer scheinbar leichtfüßig mitzuspielen, Mühelosigkeit vorzutäuschen – je länger sie in der Nähe ihrer Tochter war, desto stärker ging ihr die Ziellosigkeit, das Ungreifbare ihrer Erstgeborenen auf den Geist. Sie witterte Abhängigkeiten, und von denen hatte sie in den letzten Ehejahren mit Michael genug gehabt.
    Katarina kam vom Pool hoch, an den Hängen mit den wuchernden Sukkulenten vorbei, sie blieb bei einigen stehen, schaute sie sich aus der Nähe an, offensichtlich erstaunt über diese Gewächse, die eher an Tiere denn an Pflanzen denken ließen. Dann schaute ihre Tochter sich um, nahm ihre Mutter hinter dem mit

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