Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
inseriert, die sich im Erdgeschoss befindet?«
»Ja.«
»Sind da Treppen oder Stufen vor der Tür?«
»Nein, keine.«
Ich verabredete einen Besichtigungstermin, wir fuhren hin und sahen als Erstes zwei Stufen. Die Fähigkeit von Treppen und Stufen, sich unsichtbar zu machen, kannte ich ja bereits.
Ein Makler behauptete einmal am Telefon, es handle sich um drei Stufen vor einer Haustür, »ganz flach«. Es waren sechs.
»O Verzeihung, das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass es doch so viele sind! Und bei näherer Betrachtung: So richtig flach sind die eigentlich auch nicht!«
»Ja dann, Wiedersehen«, sagte Markus leicht genervt.
Der Makler wandte sich an mich. »Aber können Sie nicht wenigstens diese paar Stufen gehen? Sie sind doch jung!«
»Nein, ich kann gar nicht gehen.«
»Aber es sind doch nur sechs Stück. Wenn Sie sich anstrengen?«
»Ich kann gar nicht gehen. Keine einzige Stufe.«
Markus drückte meine Hand: »Komm, Ines.«
»Manche Leute denken, es ist bei mir wie bei alten Leuten, die man ein Stück im Rollstuhl schiebt, und dann laufen sie wieder ein paar Meter«, seufzte ich auf der Heimfahrt.
»Die können sich das einfach nicht vorstellen, dass so eine schöne junge Frau wie du …«, begann Markus und streichelte meine Wange. Ich biss ihm in den Finger.
»Warte nur, bis wir daheim sind!«, drohte er mir verführerisch.
Und das konnte ich wirklich kaum erwarten. Doch wir hatten noch einen zweiten Termin – bei dem sich drei Treppenstufen ebenfalls einfach versteckt hatten.
»Wir finden schon was«, tröstete mich Markus.
»Fußgänger haben einen anderen Blick als Rollstuhlfahrer«, stellte ich wieder mal fest.
»Also ich bin Fußgänger«, sagte Markus, »und ich schaue rum wie ein Rollstuhlfahrer!«
Ich küsste ihn.
»Du bist nicht behindert, du wirst behindert«, zitierte er grinsend einen meiner Lieblingssprüche.
In diesem Zusammenhang mag ich das Wort. Ansonsten habe ich Probleme damit. Wer bezeichnet sich selbst schon gern als behindert – obwohl es mir manchmal weiterhilft. Ich versuche, das positiv zu sehen. Als ich später im Ministerium arbeitete, scherzte ich mit meiner Kollegin Susanne öfter darüber.
»Was, du gehst schon?«, fragte sie.
»Wenn man eine Behinderung hat, muss man als Angestellte eine Stunde weniger arbeiten«, erwiderte ich genüsslich und vergaß nicht hinzuzufügen, wie schwer mir das falle.
Wenn ich einen Fehler machte, was selten vorkam, seufzte ich: »Ich bin halt behindert.«
Und wenn sie mal wieder zu spät kam, weil sie keinen Parkplatz gefunden hatte, war ich mit meinem Parkplatz vor der Tür auch »gern« behindert. Solche Scherze kann man natürlich nur mit Leuten treiben, die es nicht falsch verstehen – und das sind nicht allzu viele.
Mein Bein steht nicht auf Tattoos
Eines Tages bummelte ich mit Markus durch Homburg und zog die Bremse des Rollstuhls vor einem Tattoo-Studio. Seit langem schon wollte ich ein Tattoo – warum nicht jetzt gleich?
»Ich frag mal«, sagte Markus und erfuhr, dass zufälligerweise gerade ein Termin abgesagt worden war.
»Willste den Termin?«, fragte der Tattoo-Meister mich.
Und ob ich wollte! Ich wusste auch, wohin das Tattoo sollte: an den rechten Knöchel, und über das Motiv hatte ich mir bereits Gedanken gemacht: ein Tribal.
Während der Vorbereitungen gab es keine Probleme, doch als die Tattoo-Nadel in mein Bein fuhr, schlug es aus.
»Hey! Was’n das!«, rief der Tätowierer und rieb sich den Oberarm, an dem es keinen Quadratzentimeter in Hautfarbe zu bewundern gab.
»Das ist nicht schlimm«, erklärte Markus. »Das ist eine Spastik, also ein Muskelkrampf.«
»Kriegst du das in Griff?«, fragte der Tätowierer mich.
Witzige Frage. Wenn ich das im Griff hätte, könnte ich auch gehen.
»Ich halte ihr Bein fest«, bot Markus an.
»Also dann«, seufzte der Meister und begann aufs Neue.
Mein Bein schlug aus.
»Leute, so geht das nicht!«
»Jetzt halte ich richtig fest«, kündigte Markus an und legte sich quer über meine Oberschenkel.
Keine Chance. Sobald die Nadel in mein Bein stach, zuckte es. Obwohl ich extra das rechte, unempfindlichere ausgesucht hatte. Am liebsten hätte ich es umarmt. Denn damit zeigte es mir, dass es etwas fühlte, wenn das auch bei mir nicht ankam. Mein Bein wollte nicht gestochen werden. Welches Bein mag das schon. Das war irgendwie sehr schön und natürlich total blöd in dieser Situation.
»Ines, sorry, ich kann das nicht halten. Du bist zu
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