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Das Glück in glücksfernen Zeiten

Titel: Das Glück in glücksfernen Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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    Herr Pfetsch führt mich in einen Nebenraum und ruft einer Mitarbeiterin zu, sie möge zwei Tassen Kaffee bringen. Ich reiche Herrn Pfetsch die Kopien unserer Mahnungen. Er blättert sie durch und stöhnt dann auf:
    Davon habe ich bis jetzt nichts gewußt, es tut mir leid. Ich muß mich entschuldigen, verzeihen Sie bitte, die Rechnungen werden so schnell wie möglich beglichen.
    Ich schaue ihn vermutlich ein wenig verwundert an; dann sagt er:
    Es ist so, daß dieses Hotel bis vor kurzem von meinem Bruder und mir geleitet wurde. Diese Konstruktion hat, wie ich erst seit zwei Monaten weiß, zum Beinahe-Bankrott des Hauses geführt. Mein Bruder war für die Wirtschaftsführung verantwortlich, ich für die Organisation, Werbung, Personal.Ich mache es kurz: Mein Bruder hat viele Rechnungen einfach weggeschmissen. Außerdem hat er immer wieder in die Kasse gegriffen. Vermutlich hat er auch Ihre Rechnungen weggeschmissen. Zum Glück ist Ihre Wäscherei, wenn ich so sagen darf, ein nicht allzu schwerer Fall, ich meine für uns.
    Pfetsch lacht knapp und bitter. Eine Angestellte tritt in den Nebenraum und stellt den Kaffee vor uns ab.
    Ich will mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen, sagt Pfetsch. Natürlich werden Ihre Rechnungen bezahlt, wenn auch leider nicht sofort.
    Nicht sofort? frage ich.
    Das geht leider nicht. Ich muß die Zimmermädchen bezahlen, sonst laufen sie mir davon, sagt Pfetsch. Außerdem den Hausmeister und die Lichtrechnungen, sonst machen sie uns das Haus dicht.
    Können Sie nicht wenigstens eine Rechnung bezahlen?
    Wir stehen mit dem Gesicht zur Wand, sagt Pfetsch. Ich bitte Sie um Nachsicht. Gott sei Dank ist das Hotel selber nicht angeschlagen. Der Betrieb läuft gut, das sehen Sie ja. Soll ich Ihnen eine Schuldenanerkenntnis tippen lassen? Oder wollen Sie eine Ratenvereinbarung? Aber ich vermute mal, das wird nicht nötig sein. Ihre Rechnungen sind bis in etwa drei Monaten bezahlt. Ich bitte Sie, uns bis dahin noch Kredit zu geben.
    Ich trinke meine Tasse halb leer und starre flach über den Tisch.
    Ich weiß, sagt Pfetsch, das ist für Sie im Moment nicht befriedigend, aber Sie können sich auf mich verlassen.
    Danach sagt Pfetsch nichts mehr. Er muß weiterarbeiten, er wartet darauf, daß ich aufstehe und gehe. Während ich mein Schweigen aushalte, verwandeln sich meine Gefühle. Natürlich hatte ich mir vorgestellt, daß Pfetsch eine ansehnlicheA-Conto-Zahlung leistet. Pfetsch erkennt meine Enttäuschung und sagt:
    Soll ich unsere Vereinbarung schriftlich fixieren lassen?
    Es wäre gut, wenn ich jetzt ja sagen würde, dann hätte ich gegenüber Eigendorff eine Erfolgsmeldung in der Hand. Statt dessen sage ich:
    Nein, danke, das ist nicht nötig.
    Danach stehe ich auf und sammle meine Kopien ein. Weil ich nicht weiß, was ich jetzt machen soll, wird der Tag formlos. Ich befinde mich in einem schwer bestimmbaren Zustand und habe gleichzeitig keine Lust, meinen Zustand innerlich zu beschreiben. Du redest zuviel, halte ich mir vor, du hörst zuviel zu, du trinkst zuviel Kaffee, du sitzt zu lange in fremden Zimmern, du schläfst zu schlecht, du bist zu lange wach, du denkst zuviel flaches Zeug, du hoffst zuviel, du tröstest dich zu oft.
    Ich gehe aus dem Hotel und schaue die Leute an, die hier herumlaufen. Es ist, als wäre ich von schwer erträglichen Verwandten umgeben, denen ich mich trotzdem verbunden fühle. Der Wind treibt Blütenblätter auf die Bürgersteige. Elstern und Krähen hüpfen über die leeren Straßen. Ich bin von einer Vielzahl von Geräuschen eingehüllt, aber ein Geräusch stört mich besonders, das Rollern der Rollkoffer. Ich fühle einen Widerstand gegen das, was alle tun, und kann nicht angeben, was das ist, was alle tun. Zwei Enten drehen ihren Kopf nach hinten, versenken den Kopf in der Mitte ihrer Flügel. Eine der Enten öffnet ein Auge und schaut, ob ... ja, ob was? Ich verstehe nicht, warum ich mich plötzlich heimatlos fühle. Ich nehme an, den Menschen um mich herum ergeht es ähnlich wie mir. Es ist, als sei das Schweigen von fremden, über den Menschen herrschenden Mächten vereinbart . Ich weiß, das ist Unfug, aber der Unfug beeindruckt mich. Es ist ein Kennzeichen wirklicher Seelenscheu,wenn die Menschen über das Leben, das sie führen, nichts mehr sagen wollen, obwohl ihnen das Herz überfließt. Wo soll ich denn hin? Nicht weit von hier wird ein häßliches altes Haus mit der Abrißbirne abgeräumt. Merkwürdig erscheint mir, daß das Haus

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