Das Glück reicht immer für zwei
lieben. Oder? Sie nahm ein Papiertaschentuch aus dem Karton neben sich im Regal und trocknete sich die Augen.
Allegra verdiente einen Vater, verdiente es, von Alejo unterstützt zu werden.
»Mia?«
»Tut mir leid, ich musste gerade an etwas Bestimmtes denken«, sagte sie und warf das Taschentuch in den Papierkorb.
»An was denn?«
»An Allegra.«
»Ja«, sagte Alejo, »auch ich denke oft an sie. Und an unser letztes Beisammensein in Guatemala und wie wunderschön es war.«
»Ich bin beim ersten Mal schwanger geworden«, erwiderte Mia, »als wir noch unbekümmert waren.«
»Wünschtest du, es wäre nicht geschehen?«
»Nein.« Mia spürte, wie sie lächelte. »Nein, etwas Besseres konnte mir nicht passieren.«
»Weil sie aus Liebe gezeugt wurde. Das darfst du nie vergessen.«
»Ja, das weiß ich.«
»Wirst du mich vielleicht nächste Woche besuchen?«, fragte er. »Und bei mir übernachten?«
»In deinem Haus?«, rief Mia aus. »Wir können uns doch nicht bei euch zu Hause treffen. Was ist mit Belén?«
»Sie ist nächste Woche in Madrid.«
»Die ganze Woche?«
»Ja.«
»Es ist ihr Haus«, sagte Mia unbehaglich. »Ich glaube nicht …«
»Nein, das Haus gehört mir«, entgegnete Alejo. »Den Arizas. Schon immer.«
»Aber ihr lebt zusammen dort.«
»Sie verbringt einen Großteil der Zeit in Madrid. Bei ihrer Familie.«
»Ich muss erst darüber nachdenken.«
»Ich würde dich gern wiedersehen. Aber es wäre vielleicht besser, wenn du allein kommen könntest.«
»Ich kann Allegra nicht zurücklassen.«
»Ja, aber du könntest doch einen Babysitter nehmen. Jedenfalls müssen wir in Ruhe über ein paar Dinge reden.«
»Ich weiß. Ich rufe dich wieder an. Ich darf jetzt keinen Fehler machen und muss mir alles reiflich überlegen, verstehst du?«
»Claro« , sagte Alejo. »Also dann, melde dich bei mir.«
Mia erinnerte sich Wort für Wort an dieses Gespräch. Sie hatte
es immer wieder in ihrer Erinnerung abgespult und versucht, jede Bedeutungsnuance herauszufiltern. Jetzt war sie ganz erschöpft davon. Sie legte den Laptop neben sich aufs Sofa und stand auf. Dann trat sie ans Regal und nahm das von Britt signierte Exemplar von Der perfekte Mann heraus. Warum konnten nicht alle Männer wie Jack Hayes sein?, fragte sie sich bedrückt. Warum konnten sie nicht zugleich selbstbewusst und stark und sanft und einfühlsam sein? Warum konnte man sich nie sicher sein, dass sie einem nicht das Herz brachen? Warum konnte man sich nicht darauf verlassen, dass sie das Richtige taten?
Weil das Leben dann langweilig wäre, murmelte sie, während sie das Buch ins Regal zurückstellte. Perfektion ist eine Illusion. Meine Affäre mit Alejo war vielleicht gar nicht so perfekt, wie ich es mir eingeredet habe. Und mein zukünftiges Leben mit ihm würde womöglich ebenfalls nicht perfekt werden. Aber spielte das eine Rolle? Sich zu lieben und sich umeinander zu kümmern – darauf kommt es an. Klar wird das eine oder andere danebengehen. Das passiert unweigerlich. Wichtig ist nur, wie man reagiert. Und bislang hat er großartig reagiert. Er hat mich gesucht, ist aufs Geratewohl den langen Weg hierhergefahren und war nett und verständnisvoll zu mir – also so perfekt, wie man nur sein kann.
Ich kann nicht anders, als ihn zu lieben, dachte Mia. Ich wollte von Anfang an für immer mit ihm zusammen sein. Und nun bietet sich mir diese Chance.
Der Laptop gab ein »Ping« von sich, und sie erschrak. Sie drehte den Kopf zur Seite und sah auf den Bildschirm. Das blinkende Icon sagte ihr, dass sie eine E-Mail erhalten hatte. Sie klickte es an und öffnete sie.
»Grüße aus Korsika«, stand in der Betreffzeile. »Unser Gastredner auf dieser Reiseetappe ist ein Politiker«, schrieb Steve Shaw, »der wegen gefälschter Spesenabrechnungen ein Jahr lang im Gefängnis saß. Ich sage es nicht gern, aber der Typ ist mir sympathisch,
obwohl man sich einen Betrüger doch als jemanden mit miesem, gemeinem Charakter vorstellen würde. Auch haben wir diesmal eine Sängerin, eine echte Diva, an Bord. Sie hat tatsächlich M&Ms verlangt, und zwar ohne blaue Schokolinsen. Wir haben ihr gesagt, dass M&Ms ganz besonderen Gästen vorbehalten sind, außerdem sei es ohnehin fraglich, ob sich noch blaue darin befänden. In ein paar Wochen werden wir wieder in Málaga sein. Wie stehen die Chancen, dass wir uns sehen können? Ich vermisse dich, Steve.« Daneben hatte er zwei Herzen gemalt.
Mia stützte das Kinn auf die Hände und las die
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