Das glückliche Ende der Welt.
Vielleicht hat sie’s bald überstanden.«
Dann saß er wieder mit seiner Burgl allein. Sie streichelte seine Hand und bat: »Kaspar, Kaspar, setz das Uhrl wieder in Gang, ich möcht den Kuckuck hören. Ist kindisch gewesen von mir, daß ich die Uhr hab net gehen lassen. Als ob man damit die Zeit aufhalten könnte, wenn man eine Uhr anhält.«
Der Sturm hatte nachgelassen, und es war ganz still unterm Dach. Unbarmherzig tickte die Uhr die Sekunden und zerhackte mit jedem knackenden Pendelschlag den Lebensfaden der Burgl. Als der Kuckuck rief, lächelte sie.
Dann marterte sie wieder ein Husten, und ihre zarten Finger krampften sich um seine feste Hand. Sie streckte sich und wurde geschüttelt, daß die Bettstatt knarzte.
Die Petroleumlampe blakte und gab ein zitterndes und huschendes Licht über Bett und Wände. »Kaspar«, flüsterte sie, »jetzt sind wir schon wirklich weit von der Welt weg. Es ist so schön gewesen, und wir waren so glücklich, und jeden Tag hab ich dem Herrgott gedankt. Du bist ein guter Mann gewesen, und ich hab dich gern.«
»Mußt net soviel reden, das strengt dich an«, mahnte er.
Sie wurde unruhig: »Hat da net jemand ans Fenster geklopft?«
»Hab nix gehört, Burgl«, sagte er, und eine plötzliche Angst griff mit kalter Hand nach seinem Herzen.
»O ja, jetzt wieder, ich hab es deutlich gehört — muß alleweil an den Förster Greiner denken —« Wieder schüttelte sie der Husten, dann lag sie ruhig und schien über etwas nachzudenken.
»Kaspar, willst du mir einen Gefallen tun?«
»Alles, alles, was du nur willst!« Seine Stimme erstickte, es würgte ihn im Hals.
»Nimm die Mundharmonika«, flüsterte sie heiser, »spiel mir etwas vor.«
Er taumelte in die Stube und holte aus der Tischschublade die Harmonika, setzte sich ans Bett und hauchte leise hinein — das alte Böhmerwaldlied. Mit weitaufgerissenen Augen horchte sie, und ihr Blick schien durch die Wände hinaus über den Winterwald zu gehen.
Was war auf einmal so ganz anders in der Kammer!
Erschrocken legte er die Harmonika weg. »Burgl, ist was?«
Er mußte sich über sie beugen, um ihre hauchende Stimme noch zu verstehen.
»Kaspar, ich — danke dir — und sag auch dem Vater und der Mutter, daß ich ihnen für alles danke — lieber Gott —«
Die weißen, durchsichtigen Lider senkten sich über die glasig werdenden Augen, und mit einem tiefen Seufzer streckte sie sich und lag still.
In der Stube rief der Kuckuck die elfte Stunde.
Da rutschte der Kaspar vom Stuhl und sank am Bett der Toten in die Knie, sah entsetzt in das kalkweiße Gesicht. Er achtete der Zeit nicht mehr und konnte an nichts mehr denken. Das Feuer im Ofen ging aus, und die Kälte kroch durch die Wände, die Petroleumlampe brannte nieder, es wurde finster um ihn. Die Uhr war in der Kälte stehengeblieben.
Und über der Gschwend tobte wieder der Sturm.
Er hörte am Morgen nicht das Kratzen und Scharren der Schaufeln, als sich der Ambros und die Lina den Weg zu seiner Haustüre freimachten. Sie brachten ihn in ihre warme Stube hinüber, wo er sich zitternd an den Ofen drückte. Der Ambros holte die Truhe aus dem Schuppen und stellte sie in der Stube des Thums auf. Die Lina half ihm die tote Burgl in ihr letztes Bett zu legen. An das Kopfende des Sarges stellten sie zwei Kerzen und deckten das stille Gesicht mit einem Tuch zu. Dann stapfte der Ambros zum Forsthaus hinunter. Der Forstwart Hauser verständigte durch das Telefon den Pfarrer vom Tod der Burgl, und dieser setzte den übernächsten Tag für das Begräbnis an.
Zwei Tage und zwei Nächte wachten und beteten die Gschwender bei der Burgl, und dann trugen, zwei Stunden vor dem Morgen, der Ambros und der Kaspar die braune Truhe aus dem Haus, schoben sie den engen Schneegang hinauf, der von der Haustürschwelle ins Freie führte, und stellten sie auf den Schlitten. Das Schneelicht gab einen geisterhaften Schein über die Gschwend, während der Wald noch in der Schwärze der Nacht die unendliche Finsternis um die kleinen Schneehügel baute, unter denen die zwei Holzhauerhäuser lagen.
Die Lina sprengte noch einmal Weihwasser über den Sargdeckel, und die Tropfen gefroren zu schimmernden Tränen. Und die Lina weinte auf, wie sie so tiefunglücklich noch niemand hatte weinen hören. Sie konnte die Burgl, die sie wie eine Schwester geliebt hatte, nicht auf ihrem letzten Weg begleiten, weil sie beim Ambrosi zu Hause bleiben mußte.
»B’hüt dich Gott, Burgl«, schluchzte sie und sah ihnen
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