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Das Glücksbüro

Das Glücksbüro

Titel: Das Glücksbüro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Izquierdo
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sein? Oder war es nur eine Frage des Blickwinkels? Reichte es aus, das, was jeder sehen konnte, anders zu beurteilen?
    Viele Fragen drängten sich nacheinander in Alberts Büro, klopften, traten ein und setzten sich vor seinen Schreibtisch. Es tat ihm maßlos leid, ja man konnte sagen, es frustierte ihn, dass er keine Antworten für sie hatte, keine Ordner, die er als Heimat hätte anbieten können. So standen sie schließlich auf und verschwanden wieder. Wenn auch nicht spurlos, denn er spürte, dass sie nicht weit weg waren und jederzeit wiederkommen konnten.
    Um 16.00   Uhr steckte er E 45 wieder einmal in den Reißwolf, dann eilte er ins Archiv, sah Legenden der Leidenschaften , gab sich der Wäscheroutine und der Tageszeitung hin, spazierte vor dem Abendessen noch durch das Amt und machte sich schließlich in der Kantinenküche Schnitzel mit Bratkartoffeln und Salat.
    Dort saß er bei einem Kochwein und Kerzenschein und schnitt das Schnitzel in zwölf gleich große Stückchen, die er ganz ordentlich nebeneinanderschob. Und als er das Fleisch so ansah und die Bratkartoffeln und den Salat als Beilage in einem Schälchen, da saß ihm plötzlich der Schelm im Nacken und er verwuschelte Fleisch und Kartoffeln miteinander und kippte anschließend breit grinsend den Salat über alles. Es kitzelte ihn förmlich im Magen, so lustig war das.
    Aber wie das aussah! Er erschrak und trennte alles mühselig voneinander und sortierte es auf verschiedene Stellen seines Tellers. Was war denn nur los mit ihm in letzter Zeit? Ständig fiel ihm neuer Quatsch ein.
    Was hätte Georg dazu gesagt?
    Er wäre sicher nicht begeistert von Alberts kleinen Ausflügen, denn ihr gemeinsames Arrangement erforderte Diskretion. Wo mochte er gerade sein? Er hatte ihm immer noch keine neue Bankverbindung mitgeteilt. Er brauchte doch Geld oder nicht? Albert war sich sicher, dass er bald ein Zeichen von Georg erhalten würde.
    Später, als er schon den Schlafanzug angezogen hatte und in seinem Bett saß und Verordnungen las, geschah was Eigenartiges. Er hatte sich gerade seine Lieblingsverordnung als Gute-Nacht-Geschichte vorgenommen und ganz gegen seine Gewohnheit leise hörbar mitgelesen.
    Er las: »Finanzielle Betreuung der Beschäftigten in Bundesbehörden und bei Zuwendungsempfängern in Beihilfeangelegenheiten.«
     Und plötzlich bewegten sich die Buchstaben!
    Er las Finanzielle Betreuung und sah eine Bewegung. Er hielt kurz inne, wiederholte Finanzielle und konnte sehen, wie das N hochsprang. Nur ganz kurz. Er starrte es eine Weile an, aber es verhielt sich ganz ruhig. Gerade als er den Blick abwandte, zuckte es mit seinem Füßchen und Albert rief: » HA !«
    Aber schon verharrte es wieder, wenn Albert auch spüren konnte, dass es nur darauf lauerte, dass er wieder woanders hinsah.
    Das tat er dann auch, was das Ä offenbar ermutigte, mit dem Ü die Pünktchen zu tauschen. Albert war ganz fasziniert, denn Ä und Ü waren wieder die, die sie waren, und doch besaßen sie etwas vom anderen, womit sie genau genommen nicht mehr die waren, die sie zuvor gewesen waren.
    Albert starrte auf den Text, aber alles war wieder ruhig.
    Vorsichtig begann er leise zu lesen: »Beihilfen werden in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen gewährt. Sie sind eine Beteiligung an den Krankheitskosten durch den öffentlichen Arbeitgeber und ergänzen in diesen Fällen die Eigenvorsorge der Beamten und Tarifbeschäftigten, die aus den laufenden Gehältern zu bestreiten ist.«
    Jetzt erwachten sie alle.
    Viele tauschten ihre Plätze mit gleichen Buchstaben und wurden so Teil eines neuen Wortes, einer neuen Bedeutung. Was für den Leser nicht zu unterscheiden war, für die Buchstaben hingegen ein ganz neues Dasein bedeutete. Sie lebten jetzt in einem anderen Wort weiter – und das schien ihnen zu gefallen.
    Albert freute sich für sie und las weiter, um noch mehr Buchstaben aus ihrem Wort zu befreien. Alle sollten sie sich ändern, die Welt aus anderer Perspektive sehen. Sie sollten für jeden, der sie las, aussehen wie immer und ihren Spaß daran haben, dass niemand bemerkte, dass sie eigentlich ganz woanders hingehörten.
    Weiter unten im Text las Albert: »… Antragsverordnung nach Bundesbeihilfeverordnung – BbhV …«
     Und wieder veränderte sich etwas, denn aus den ersten beiden Worten setzte sich ein neues zusammen: A-n-n-a. Dieser Name schob sich über den ganzen Text und überall, wo er auftauchte, wichen die anderen vor ihm zurück, als ob eine große

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