Das Glücksbüro
ins Amt gemieden hatte.
Kaum war er eingetreten, war es, als schnürte ihm ein eiserner Gurt die Brust zusammen. Labyrinthische Gänge bauten sich vor ihm auf: Schluchten, Produktberge, Verpackungen, Menschen mit Einkaufswagen. Die Kassen piepten unentwegt. Und von oben regnete leise Musik herab.
Das hier war ein Dschungel.
Albert schlich sich an den Regalen entlang, hielt hektisch Ausschau nach Anna, die er nirgendwo entdeckte. Schon nach ein paar Metern konnte er nicht mehr sehen, wo der Ausgang war, und zwei Abzweige weiter hatte er jede Orientierung verloren. Offenbar war er im Klopapierhimmel angekommen, denn rechts und links türmte sich weiß und flauschig, zwei-, vier-, sechs- und achtlagig das Poweiß in unzähligen Rollen. Alles war hell, wolkig, hygienisch. Selbst das Licht, sodass Albert schnell nach anderen, dunkleren Gängen Ausschau hielt. Die Waschmittel waren kaum besser, Hautpflege auch nicht. Erst der Kaffee brachte Linderung, es war, als hätte jemand die Farben leiser gestellt.
Schließlich entdeckte er Anna.
Am Ende eines langen Regals mit Tausenden von Suppendosen kramte sie eine heraus, legte eine flexible Plastikschablone darauf und zückte einen schwarzen Stift mit dünner Spitze. Sie schien etwas zu übermalen, so genau konnte Albert das nicht sehen, aber er war so irritiert, dass er vergaß, ihren Namen zu rufen. Sie ging weiter, Albert folgte ihr zu einem weiteren Regal: Nudeln. Unfassbar viele Nudeln. Geradezu infantil in ihren Formen – es aßen doch auch Erwachsene Nudeln! Wieder nahm sie ein Paket heraus, legte die Schablone darauf und kritzelte mit dem Stift darauf herum.
Albert war bereits ein gutes Stück näher gekommen, sodass er jetzt erkennen konnte, was sie gerade tat: Sie veränderte den Barcode.
Schon schob sie ihren Einkaufswagen weiter, Albert im Schlepptau, den sie noch gar nicht bemerkt hatte. Beim nächsten Stopp hatte Albert zu ihr aufgeschlossen und linste neugierig über ihre Schulter: Gummibärchen.
Wieder veränderte sie den Barcode mit der Schablone.
Dann flog die Packung zu den anderen Lebensmitteln, die sie bereits bemalt hatte. Sie drehte sich zu ihm um, lächelte, weil er so verwirrt aussah, und legte ihren Zeigefinger auf die Lippen: Er sollte ihr schweigend folgen. Was er auch tat. Sie legte noch das ein oder andere Produkt in den Warenkorb, achtete aber darauf, dass es immer verpackt war und somit einen Barcode hatte, den sie nach Belieben veränderte. Dann schob sie den Gitterwagen zielsicher zu einer der Kassen und legte alle Lebensmittel auf das Band.
Während die Waren dem Kassenscanner immer näher kamen, hielt Albert den Atem an: Das war doch illegal! Da würde sicher ein Alarm losbrechen, und alle würden sie ansehen. Eine Menschentraube würde sich bilden und mit dem Finger auf sie zeigen. Wortfetzen würden ihnen wie Schrapnells um die Ohren fliegen, dann würde plötzlich die Polizei kommen und Anna festnehmen. Und ihn auch, weil er ein Komplize war.
Unwillkürlich setzte Albert einen Schritt zurück.
Was, wenn man ihn einsperrte? Wenn man feststellte, dass er im Amt wohnte? Wenn er nie wieder in sein Büro zurückkehren durfte? Albert spürte, wie ihm kalt wurde. Wie sich all sein Blut in der Bauchgegend zu sammeln schien und alles, was vom Torso abstand, kalt wurde.
»Frau Sugus …«
Seine Stimme hörte sich komisch an, als ob sie ihm gar nicht gehören würde.
Anne drehte sich nur um und machte: »Psssst!«
Dann packte die Kassiererin schon die erste Dose ihres Einkaufs und zog sie über den Scanner. Albert konnte gerade noch sehen, dass es Ananas waren, die mit einem Piep! ins Auffangbecken rollten. Es hatte Piep! gemacht. Albert konnte es nicht glauben – kein Alarm. Keine Menschentraube. Keine Polizei. Nur Piep!
Im Display des Computers flammte auf: LINSENSUPPE 2,99.
Albert klapperte mit den Augenlidern: Linsensuppe? Wieso Linsensuppe? Das waren eindeutig Ananas, das konnte doch jeder sehen! Erst recht die Kassiererin, aber die schien es gar nicht zu bemerken.
In rascher Abfolge rutschten andere Verpackungen über den Scanner. Linsensuppe, die jetzt Erbsen waren. Chips wurden zu Jogurt und Pizza war plötzlich Milch.
Piep! Piep! Piep!
Anna war beglückt – Albert stand vor Entsetzen der Mund offen. Das war ja Anarchie! Das reinste Chaos. Und es schien niemanden zu kümmern! Dabei wäre es zumindest die Aufgabe der Kassiererin gewesen, diesen Missstand aufzuklären. Sie war ihrem Arbeitgeber doch verpflichtet! Aber
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