Das Glücksbüro
Schreck, hielt ihn unter den Achseln fest und zog ihn näher zu sich heran.
Albert japste: »Ich … kriege … keine Luft.«
»Kommen Sie, schnell!«
Anna zog ihn ganz nahe zu sich heran, bahnte sich mit dem Rücken voran ihren Weg durch die Menge, während Alberts Kopf in die Beuge zwischen Nacken und Schulter fiel und seine Arme schlaff herabhingen. Aus den Augenwinkeln sah er die vielen Menschen, die ihn angafften, die grinsend in seine Richtung nickten, weil sie ihn für betrunken hielten, oder sich amüsierten, wie er von einer Frau aus dem Raum geschleppt wurde. Sie waren angewidert darüber oder gleichgültig, aber schutzlos, wie er in diesem Moment war, verletzten sie ihn damit tief.
Anna hingegen spürte, wie er immer weiter in sich zusammenfiel, wie ihn die Kraft verließ und er an ihrem Hals zwar nach Luft schnappte, aber kaum noch ausatmete. Mit ein paar Schubsern hatte sie die Tür erreicht – sie wurden von der Menge förmlich auf die Straße gespuckt, wo sie ihn gegen die Hauswand lehnte und beruhigend auf ihn einredete.
Die kalte Luft tat gut, sein Atem beruhigte sich, der Schwindel ließ nach. Was blieb, war ein eigenartiges Fremdeln mit dem eigenen Körper, so als ob man nach langer Krankheit zum ersten Mal wieder auf den Beinen stand.
Anna nahm sein Gesicht in beide Hände und sah ihn an: »Es tut mir so leid, Albert. Ich hätte mir denken müssen, dass das nichts für Sie ist.«
Albert nickte abwesend und mied ihren Blick. Er konnte nicht einmal in einen vollen Raum gehen, ohne auf den Grund zu sinken, wo er zwischen Zigarettenkippen und Weinschorle liegen geblieben wäre, wenn sie ihn nicht wie einen Jungen gerettet hätte, der im Pool zu viel Wasser geschluckt hatte.
Hätte Franco eine Panikattacke bekommen? Hätte ihn die Angst zu einem wimmernden Etwas schrumpfen lassen? Nein, Franco war ein ganzer Kerl und deswegen liebten ihn alle Frauen. Wie hatte Albert nur glauben können, es ihm gleichzutun? Seine erste Verabredung! Und was war übrig geblieben?
»Schon gut«, flüsterte er und spürte plötzlich, wie er mit seiner Fassung rang. »Ich will nach Hause.«
»Wir könnten woanders hin, wo es nicht so voll ist«, bot Anna an.
Albert schüttelte den Kopf, wandte sich ab. Er fühlte sich beschämt, schwach und wischte sich verstohlen mit dem Ärmel über die Nase. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, aber Albert wich zurück: »Nein, bitte … Ich möchte jetzt gehen, bitte.«
Sie bot ihm ihren Arm an: »Ich bringe Sie.«
Aber er schüttelte erneut den Kopf, diesmal heftiger. »Nein, nein, nein, ich möchte lieber alleine sein.«
Dann drehte er sich um und lief los. Erst zögerlich, dann immer schneller. Weg! Nur weg! In seinem Rücken hörte er sie: »Albert!«
Es hielt ihn nicht auf, er lief nur noch schneller.
Weg von der Galerie, weg von der Verabredung, weg vom Ort seiner größten Selbstdemütigung, die er mit seiner Flucht nun wirklich vollendet hatte. Er wollte dahin, wo es sicher war. Zurück in sein Amt, das ihn immer wie eine Mutter behütet hatte. Er hatte sich schnöde abgewandt, aber jetzt lief er ihr reuevoll entgegen: Er würde so etwas nie wieder tun!
Außer Atem passierte er die Einfahrt zum Amt, vorbei am schlafenden Wachmann, dem Propeller entgegen. Und verschwand mit einer schnellen Rotation im Dunkeln.
Hätte er sich umgedreht auf seiner wilden Flucht, so hätte er bemerkt, dass Anna ihm gefolgt war. Eigentlich hätte sie erstaunt sein müssen, aber sie war es nicht, denn es fügte sich zusammen, was sie in Teilen schon geahnt hatte.
Das also war Alberts Zuhause.
41.
Die Nacht war unruhig, obwohl Albert nach dem Desaster sofort ins Bett gegangen und eingeschlafen war. Doch nur zwei Stunden später schreckte er aus einem wilden Traum auf: Der Schock hatte nachgelassen und nun ratterten die Bilder in seinem Kopf wie Gitterstäbe, gegen die man im Vorbeirennen einen Stock schlug. In endlosen Schleifen wiederholte sich der Abend, mal so, wie er tatsächlich verlaufen war, mal in winzigen Variationen, die darauf hoffen ließen, dass er gut ausgehen würde, und doch endeten alle mit Untergang und Flucht. Vielleicht wäre der Abend noch zu retten gewesen, wenn er nicht davongelaufen wäre, aber eine Situation wie diese erforderte Lebenserfahrung, und die hatte er nicht. Er hatte sich wie ein Teenager verhalten, weil er diesbezüglich einer war.
In Gedanken erklärte er sich Anna, und sie verstand ihn. In Wirklichkeit aber wollte er sie nie wieder sehen, um
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