Das Glücksprojekt
kann, aber dann kein Geld für einen Internetanschluss hat und sich deswegen ins nächste W-LAN-Café setzen muss. Vielleicht fühlt man sich da aber auch für kurze Zeit kreativer, als man wirklich ist. Reine Unterstellung, natürlich. In die Zeit meiner Moleskine-Sitzungen fallen auch die Versuche, eine gute Klavierspielerin zu werden. Ich quälte mich außerdem durch die Klassiker der Weltliteratur, nahm an Seminaren teil und probierte mich durch die verschiedenen Preisklassen der Rotweine vom Supermarkt um die Ecke. Ich fand Männer anziehend, die Nickelbrillen trugen, älter waren als ich und einen melancholisch-tiefsinnigen Eindruck machten. All das lief auf eine Alex hinaus, die ich gerne sein wollte. Das Moleskine-Buch war ein Statement: Ich nehme mir Zeit fürs Denken und Schreiben und meine Gedanken sind es wert, festgehalten zu werden, sie sind nämlich enorm tief greifend. Der Rest war schmückendes Beiwerk.
Das komplett Bescheuerte an der Sache ist: Nichts davon hat mir wirklich Spaß gemacht. Mir fehlt jegliche Disziplin für das Üben, Ulysses habe ich bis heute nicht begriffen, bei Lesungen beobachte ich aus den Augenwinkeln immer die anderen Besucher und melancholische Männer mit Nickelbrillen sind das absolute Gegenteil von spaßig. Mache ich das heute immer noch? Mich mit Dingen beschäftigen, die einer Wunschvorstellung von mir selbst entsprechen? Da fällt mir sofort mein gescheiterter Yogakurs ein. In meiner Vorstellung trug ich ein pastellfarbenes Trägertop mit passender Dreiviertelleggins, saß im Schneidersitz im Sonnenuntergang und hielt einen Gymnastikball vor meine Chakren. Dieses Selbstbild war verwoben mit einer Alex, die sich gesund ernährt, und zwar von Obst aus dem Biomarkt, die samstags mit einem Weidenkorb auf dem Markt einkaufen geht und die Einkäufe mit dem Fahrrad nach Hause bringt. In meiner blitzsauberen Küche bereitet sie daraus ein leckeres Abendessen für ihre unzähligen Freunde zu, die über ihre fantasievolle Tischdekoration ganz aus dem Häuschen sind. Das einzige Problem ist: Diese Alex existiert nicht. Ich mag mich nicht an Marktständen anstellen, ich kaufe lieber anonym ein und der 10-Kilo-Sack Hundefutter passt in kein Weidenkörbchen. Meine Küche ist selten sauber und das Abendessen mit Freunden endet immer in einem betrunkenen Zustand mit Rotweinflecken und übervollen Aschenbechern auf dem Tisch statt Dekoration. Dementsprechend ging auch der Yogakurs aus: Ich halte mich nicht gern mit anderen, transpirierenden Leuten in geschlossenen Räumen auf, ich sehe in pastellfarbenen Trägertops aus wie ein Schweinchen und bin dann neidisch auf die Vorturnerin – die sieht nämlich nicht aus wie ein Schweinchen, sondern wie jemand, der eine schöne Tischdekoration hinbekommt. Aus Bioobst!
Das alles fällt in dieselbe Kategorie wie mein Versuch mit der Badewanne und den Kerzen: Schon schön, aber nicht für mich. Aus diesem Grund habe ich die Kinoabende gestrichen. L. ist ein leidenschaftlicher Kinogänger. Einer von denen, die man fragen kann: Wie hieß noch gleich der glatzköpfige Nebendarsteller aus dem tschechischen Dokumentarfilm, wo es um die fingierte Eröffnung eines Kaufhauses ging? Da schaut der noch nicht mal auf, wenn er »Zdenek Svejda« sagt. Ich versuche ihn manchmal auszutricksen, aber er gewinnt immer. Da wir am Anfang unserer Beziehung manchmal zusammen ins Kino gegangen sind (in der Phase, in der noch jeder dem anderen vormacht, seine Interessen zu teilen), hat sich das zu einer Art Folklore entwickelt. Jede Woche gehen wir zumindest einmal ins Kino. Diese Tradition hat für mich so etwas wie eine Signalwirkung: Alles läuft wie gewohnt, ergo alles ist in Ordnung. Danach gehen wir noch ein Glas trinken in eine Kneipe um die Ecke und reden über den Film. Mir gefällt das Bild, dass wir so ein schickes Hauptstadt-Pärchen sind, das nach einem Programmkinofilm in einer Kneipe sitzt und sich über Regisseure, Schauspieler und Handlung auslässt. Aber mir gefällt das Bild besser, als es tatsächlich zu tun – ich habe schon erwähnt, welche Risikofaktoren so ein Kinosaal für mich birgt (Popcornesser).
L. hat auf meinen Entschluss nicht mit Weinen, Händeringen und Verzweiflung reagiert. Er sagte einfach nur: »Okay.« Er geht jetzt mit seinem Freund Mike ins Kino, so haben die beiden wieder mehr miteinander zu tun und ich genieße es, abends mal alleine zu Hause zu sein. Ich bin fertig mit Kino. Mich würde der neue Film von Darioush Shirvani
Weitere Kostenlose Bücher