Das Glücksprojekt
Kopf, ein Feuer im Kamin. Wäre es nicht viel schöner ohne den ganzen Ballast? Wer braucht die Unmengen an Kram? Das sind doch alles Erinnerungen aus der Vergangenheit, das Familiensilber und die Fotoalben, die Plattensammlung und die Enzyklopädie. Weg damit!
Es wäre fast wie neu anzufangen, wie eine Bibliothek voller Regale, über allen stünde ihr Fachgebiet, Geschichte über einem, Kunst über einem anderen. Politik, Naturwissenschaften, Religion und alle Bücher, wenn man sie aufschlüge, wären weiß. Nur blanke Seiten, die darauf warten, dass man sie füllt. »Wir wären so, so – frei!«, schwärme ich L. vor und breite meine Arme aus. »Hmhm«, grummelt L. zustimmend und drückt den Korken einer Rotweinflasche in den Flaschenhals. »Vielleicht, dass wir aber doch mindestens einen Korkenzieher mit umziehen.«
»Ja, doch«, winke ich ab, »und natürlich Zahnpasta und Duschgel und Handtücher und solche Sachen.« Wir stoßen an. »Und Geschirr und Besteck«, füge ich noch dazu. »Und natürlich ein paar Klamotten und den Computer mit Schreibtisch und Stuhl und den Flauschteppich, den legen wir hier vor den Kamin.« Und so zähle ich Stück für Stück alle Ding auf, die sich in unserer alten Wohnung befinden. Es ist eben nur die Idee, die schön ist. Tatsächlich nehmen wir unsere Vergangenheit natürlich immer mit – und den Korkenzieher.
Freizeit
Freizeit ist, wenn man mal nichts tut, richtig? Oder ist es nur die Abwesenheit von Arbeit? Wikipedia findet: »Freizeit im Sinne von arbeitsfreier Zeit ist der Zeitraum, über den der Einzelne frei verfügen kann und in dem er frei von bindenden Verpflichtungen ist.«
Früher war das leicht: Freizeit war, wenn die Schule aus war und die Hausaufgaben gemacht waren. Und heute? Heute erledige ich in der Freizeit eine Menge Dinge, zu denen ich während der Arbeitszeit nicht komme. Ich packe meine Freizeit voll mit Bankbesuchen, Wocheneinkäufen und Arztterminen, ich telefoniere mit Handwerkern, bringe den kaputten Drucker zur Reparatur, telefoniere mit dem Reparaturservice und besorge einen neuen Drucker. Ich besuche meine Eltern und auf dem Weg fahre ich noch beim Recyclinghof vorbei. Aber sehen Sie, was ich meine? Meine Freizeit hat mit frei nicht viel zu tun. Und ich bin selbst schuld: Wenn ich nämlich mal tatsächlich nichts zu tun habe, überlege ich sofort, was ich erledigen könnte . Ich bin so irritiert, wenn ich nicht in Bewegung bin, dass ich es vermeide, zum Stillstand zu kommen. Und etwas zu erledigen gibt es immer. So streiche ich permanent Dinge von meiner To-do-Liste, die ich gerade eben dort hingeschrieben habe – um was? Um danach wieder die Zeit totschlagen zu müssen, die ich ständig versuche einzusparen? Da beißt sich doch die Katze in den Schwanz …
Freizeitbeschäftigungen gelingen mir nur, wenn ich sie plane, zum Beispiel eine Wanderung mit L. und Schmitz. Oder ein Abend mit Jana und Anne. Aber das sind Ausnahmen. Außerdem kann man das Lesen noch dazuzählen, das aber viel zu oft auf die zehn Seiten beschränkt ist, die ich abends im Bett schaffe, bevor ich das Licht aus und die Augen zumache. Und das leidige Fernsehen natürlich – da bin ich so abgelenkt, dass ich nicht mal überlege, was ich noch tun könnte, müsste oder sollte. Deswegen finde ich es auch entspannend. Vielleicht ist das der Grund, warum Fernsehen so beliebt ist – 28 Prozent ihrer Freizeit verbringen die Deutschen damit, sagt eine Studie der OECD aus dem Jahr 2002. Sie besagt auch, dass wir im Schnitt täglich sechs Stunden und 34 Minuten an Freizeit haben. Das beschert uns den zweiten Platz auf der Liste der Industrienationen, noch mehr Muße haben nur die Belgier. Ich überschlage Arbeitsstunden und Schlafzeit und komme durchaus auf die sechs Stunden. Sechs Stunden, eine Menge Zeit. Was ich da alles erledigen könnte, schießt es mir gleich wieder durch den Kopf. Wenn ich zwei Stunden pro Tag für Erledigungen abziehe, dann sind immer noch vier Stunden übrig, die mir zur freien Verfügung stehen. So habe ich das noch nie gesehen. Ich habe Zeit! Nur: Was mache ich jetzt damit? Ich habe mich bisher nicht genug um meine Freizeit gekümmert, so viel steht fest. Vielleicht auch deswegen, weil ich kein Hobby habe. Auf Menschen, die ein Hobby haben, bin ich ein bisschen neidisch, weil sie eine Passion verspüren, die mir völlig verschlossen bleibt. Diese große Befriedigung, die jemand erfährt, der in seinem Hobby aufgeht, wird mir wohl ewig verwehrt bleiben.
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