Das Glücksprojekt
und beklage mich, dass alles an mir hängen bleibt. Manchmal, wenn ich wieder etwas ganz besonders gut weiß, sieht L. in meine Blickrichtung und kneift die Augen etwas zusammen: »Ich glaube, warte mal … Ja! Da hinten kann ich die Schlauberge erkennen!«
»Du bist eine alte Besserwisserin, mein Fräulein«, sagt L.
»Ich weiß«, antworte ich.
Aber damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ansonsten bin ich reizend!
Aus welchem Grund ich diese wenig liebenswerte Eigenschaft mein Eigen nenne und nicht stattdessen die wesentlich populärere Güte oder Bescheidenheit – ich habe keine Ahnung. Ich tendiere dazu, meine Mutter dafür verantwortlich zu machen. Das ist klassisch, das kann man praktisch immer tragen. Und sie ist tatsächlich noch rechthaberischer als ich. (Aber ich halte länger durch.) Der Psychologe Michael Thiel führt Besserwisserei hingegen auf ein geringes Selbstwertgefühl zurück. Jemand, der unsicher ist, sucht auf diese Weise Anerkennung – auch wenn er mit der Rechthaberei oft das Gegenteil erreicht. »Ähnlich wie bei einem Drogensüchtigen werden bei einem notorischen Besserwisser Botenstoffe im Gehirn ausgeschüttet, die für Zufriedenheit sorgen«, so Thiel.
Was ich tun kann, um dieses Verhaltensmuster zu durchbrechen, scheint einfach: Sobald jemand eine andere Meinung vertritt als ich, soll ich zunächst einmal sagen: »Vielleicht hast du recht«, und dann ein paar Minuten den Schnabel halten. Den Schnabel halten – noch so eine Sache, die ich nicht gut kann.
Es dauert nicht lange und ich bekomme die Möglichkeit, meinen neuen Vorsatz in der Praxis auszuprobieren. L. hackt Petersilie in der Küche, ich sitze mit einem Glas Wein am Tisch und sehe ihm zu. »So viel?«, rutscht es mir heraus. L. antwortet: »Ja, für die Knoblauch-Öl-Sauce braucht es viel Petersilie.«
Jetzt kommt mein brandneuer Satz: »Vielleicht hast du recht, aber …«, sage ich und schiebe gerade noch rechtzeitig mit einer Hand das »aber« zurück in den Mund. L. dreht sich zu mir um und zieht die Augenbrauen nach oben. Dann ist Stille. L. hackt deutlich verunsichert weiter. Dass ich sage, er könnte recht haben, wirft ihn völlig aus dem Konzept. Ich sammle gedanklich schon mal alle Gegen-Petersilien-Argumente. Vermutlich platze ich gleich. Na, das wird was, wenn ich in fünf Minuten den Mund wieder aufmachen darf. Aber während die Minuten vergehen, fangen wir an über ein Buch zu reden, das wir beide gelesen haben, und als ich das nächste Mal an die Petersilie denke, erscheint jeglicher Kommentar dazu vollkommen lächerlich. Außerdem kocht L. ganz hervorragend, da brauche ich nicht Rach, den Restauranttester spielen. Ich platze entgegen aller Erwartung nicht. Der Impuls geht einfach vorüber, ohne größere Schäden zu hinterlassen. Nicht schlecht, oder?
Im Auto bin ich noch nicht ganz so erfolgreich. Ich sage zwar schon: »Vielleicht hast du recht«, aber sobald sich herausstellt, dass L. falschliegt, kann ich mir ein kleines »Siehst du« nicht verkneifen. Aber das wird noch. Dafür schaue ich jetzt beim Rückwärtsfahren nicht mehr mit nach hinten, um ihn vor eventuellen Hindernissen zu warnen. Er ist ja schon groß und kann ganz alleine Auto fahren. Es ist sogar eine echte Erleichterung, wenn ich mich überwinde und die Verantwortung abgebe. Durch die Zwangspause nach meinem »Vielleicht hast du recht« hat mein Hirn Zeit, die andere Meinung etwas einsickern zu lassen. Ohne dass ich sofort abwehrend dagegenwirke, als wäre es Gift.
Loben, loben, loben
»Männer muss man loben«, singt Barbara Schöneberger und weiter: »Dann bleiben sie stark, dann bleiben sie oben.« Etwas wissenschaftlicher formuliert es die Journalistin und Medizinjournalistin Susan Heat in ihrer Artikelserie Wahre Liebe : »Männer sind erfolgsorientiert. Fehlt das Lob, fehlt ihnen der Glaube an die Liebe ihrer Partnerin und die Motivation, die Frau auf Händen zu tragen. Wenn Sie Ihren Partner oft und ausreichend loben, haben Sie ziemlich sicher den Himmel auf Erden. Es ist ganz leicht. Sie loben Ihren Mann einfach für alles, was er tut. Egal, ob er sich die Zähne putzt, sich morgens frisch duscht und nett anzieht oder tatsächlich den Rasen mäht, nachdem Sie es ihm zehnmal gesagt haben.«
Ich weiß ja nicht, wie das bei Ihnen zu Hause ist, aber wenn ich L. lobe, weil er sich morgens die Zähne putzt, durchsucht er wahrscheinlich meine Taschen nach Drogen. Und das zu Recht: So ab sieben Jahren ungefähr können Kinder
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