Das Glücksrezept - O'Neal, B: Glücksrezept - The Lost Recipe for Happiness
rührte sich nicht. Ärger, Ärger, nichts als Ärger . Etwas Kühles kroch über ihr Rückgrat, und sie sah sich um, nach ihren Geistern, doch keiner von ihnen war da, oder zumindest zeigten sie sich nicht. Sie holte tief Luft, schüttelte das Gefühl ab und knipste das Licht aus. »Ich muss kochen«, sagte sie, nur für den Fall, dass sie ihr zuhörten. »Mal sehen, was die Läden zu bieten haben.«
In diesem Moment kam Isobel aus einem anderen Raum herein. »Ich wollte sehen, wo er hingeht«, sagte sie. Ihr Haar glänzte wie frisch aufgetragener Nagellack. »Der ist ziemlich kaputt, schätze ich. Sei vorsichtig.«
Elena nickte.
»Du musst Mama anrufen«, fuhr Isobel fort, legte eine Hand auf den Küchentresen und strich bewundernd darüber. »Dolores ist krank.«
Das gewohnte Widerstreben kroch durch ihr Rückgrat. »Das mache ich. Später. Komm jetzt. Lass uns sehen, was es in den Lebensmittelgeschäften hier so gibt.«
Häufig waren die Küchen die einzig sicheren Orte für Elena. Wann immer sie den Drang verspürte, nachzudenken, zur Ruhe zu kommen oder sich auf sich selbst zu besinnen, stellte sie sich an den Herd. An diesem Nachmittag wollte sie herausfinden, welche Zutaten sie hier in der Stadt bekam und welche bestellt werden mussten.
Als sie sich auf den Weg zum Supermarkt machte, hatte sie erneut die drängende Stimme ihrer Schwester im Ohr – »Ruf Mama an«. Sie wusste, dass sie sie würde anrufen müssen. »Mama«, Maria Elena, war in Wahrheit Elenas Großmutter. Ihre leibliche Mutter hatte Elena im Stich gelassen, deshalb hatte Maria Elena diese Aufgabe übernommen.
Elenas Vater, Roberto Alvarez, war während des Vietnamkriegs zur Army gegangen. Roberto, zweiter Sohn der Familie – allesamt stolze, aber arme Farmer in New Mexico, die von den spanischen conquistadores abstammten, die im achtzehnten Jahrhundert die Gegend besiedelt hatten -, war mit einer tief verwurzelten Wanderlust geboren worden. Als eines Tages ein Armyangehöriger in seiner Highschool auftauchte, um Nachwuchs zu rekrutieren, trat Roberto ein, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Er leistete seinen Grundwehrdienst in El Paso ab, wo er in einem 7-Eleven Donna DeWalle kennenlernte. Donna war fünfzehn und reif wie ein Pfirsich. Roberto, einsam und voller Heimweh, verliebte sich auf den ersten Blick in sie.
Donna, eine dralle, vollbusige Blondine, war die Tochter der Barfrau in einer Raststätte, die an all den durstigen Soldaten tüchtig verdiente. Wie vorhergesehen wurde Donna sehr schnell schwanger, und da zu dieser Zeit eine Abtreibung gesetzlich ausgeschlossen war, wurden sie von einem Friedensrichter getraut, ehe Roberto sich nach Übersee einschiffte und sechs Monate später dort ums Leben kam. Ehe er ging, nahm er Donna das Versprechen ab, das Kind nach
ihm zu benennen, falls es ein Sohn war, beziehungsweise nach seiner Mutter, Maria Elena, falls es ein Mädchen werden sollte.
Elena, die in einer stürmischen, mondlosen Nacht das Licht der Welt erblickte, war sehr oft sich selbst überlassen. Donna war ein Partygirl, das Elena nur allzu gern in der Obhut ihrer eigenen Mutter, Iris, ließ. Die drei lebten in einem Apartment in der Nähe der Raststätte, wo Iris arbeitete, und Elena hatte ein eigenes Zimmer mit Blick auf den Fluss. Auf der anderen Seite des Ufers lag Mexiko, das im Grunde genauso aussah wie Amerika. Trotzdem war es anders. Zumindest sagten das alle.
Sie ging mit Migrantenkindern zur Schule, spielte mit den Sprösslingen von Soldaten und fand recht schnell heraus, dass sie Köpfchen hatte. Jedes Jahr war sie Klassenbeste, wofür es nur einen Grund gab – die städtische Leihbibliothek befand sich direkt um die Ecke.
Elenas Großmutter Iris las leidenschaftlich gern, besonders dicke Schinken von Sidney Sheldon ebenso wie Historienschmöker von Victoria Holt, Mary Stewart und Norah Lofts. Sie waren ihre Flucht aus dem Alltag. Iris trank keinen Alkohol, war nicht sonderlich gesellig und fand Fernsehen blödsinnig, also saß sie auf der Veranda, rauchte und las Romane. Bis zum heutigen Tag musste Elena an Iris denken, wann immer sie dieses typisch rasselnde Raucherkeuchen hörte – Iris, wie sie lesend dort saß, mit Brüsten, die ihr unter der Trägerschürze über die Rippen hingen, inmitten einer blauen Rauchwolke im Schein der Leselampe.
Jede Woche gingen sie in die Leihbibliothek, um sich mit neuen Wälzern einzudecken. Mit sieben konnte Elena bereits ganze Geschichten lesen, was sie mit
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