Das Glücksrezept - O'Neal, B: Glücksrezept - The Lost Recipe for Happiness
großer Leidenschaft tat.
Keiner in diesem Haushalt kochte jemals. Zum Frühstück
gab es Cornflakes, und an den Wochenenden kamen gegrillte Käsesandwiches oder eine Schüssel Chili auf den Tisch. Zum Abendessen gab es die Gerichte, die in der Raststätte auf der Tageskarte standen – Truthahnsandwich mit Bratensauce und pappigem Weißbrot, mit Bohnenmus gefüllte Burritos, knusprige Tacos, Rindfleischeintopf oder Posole, eine deftige Maissuppe. Manchmal erlaubte der Koch, ein alter Mann mit weißen Bartstoppeln, dass Elena ihm in der Küche half. Sie durfte Salatblätter rupfen, Maiskolben putzen oder Essiggurken auf einem Teller anrichten.
Während ihre Großmutter an der Bar Rum-Cokes mixte, verzog Elena sich wie Cinderella in eine warme Ecke der Küche und las ihre Bücher. Dort war es nett und behaglich, und immer war ein wohlwollender Erwachsener zur Stelle, der ihr ein Glas Wasser oder Limonade (wenn sie darum bettelte) brachte. Dort fühlte sie sich beschützt und gut aufgehoben.
Als Elena acht war, erkrankte Iris an Krebs und starb. Eine Zeit lang versuchte Donna, ihrer Mutterrolle gerecht zu werden, doch dann lernte sie einen Mann kennen, der mit Kindern nichts am Hut hatte. Er wollte nach Dallas ziehen, und Donna hatte nicht die Absicht, sich diese Chance entgehen zu lassen, also packte sie Elena in den Wagen und fuhr mit ihr nach Española zur Familie Alvarez.
Donna tat so, als sei sie mit Elena nur zu einem Besuch vorbeigekommen, und zählte auf die Trauer der Familie um ihren toten Sohn, die sie bewegen würde, Elena bei sich aufzunehmen, obwohl sie unglücklicherweise mit demselben blonden Haar und den blauen Augen ihrer Mutter geboren worden war.
Aber Robertos Mutter, Maria Elena, nach der Elena benannt worden war, bestand darauf, dass sie über Nacht blieben. Sie verfrachtete sie mit Decken und Kissen auf die
Couch in einem Zimmer, das fremd roch und sich fremd anfühlte, und Elena weinte sich in den Schlaf und vermisste ihre Großmutter.
Am nächsten Morgen war Donna verschwunden. Hatte sich förmlich in Luft aufgelöst. Die Alvarez’ rückten zusammen, um Platz für den Neuankömmling zu schaffen – es wohnten ohnehin bereits zwölf Kinder im Haus, einschließlich zwei Cousins, welche Rolle spielte es da, ob noch ein weiteres hinzukam? Elena lag altersmäßig zwischen Isobel und Margaret, die im Grunde ihre Tanten waren – die eine war sechs Monate jünger als sie, die andere ein Jahr älter. Sie teilten sich ein Zimmer mit der zwei Jahre älteren Dorothy, die Elena von Anfang an hasste und auch später nie eine echte Beziehung zu ihr aufbaute.
Alles, was Elena bei sich hatte, waren die Kleider, die sie am Leib trug, eine zusätzliche Garnitur Unterwäsche und ein Buch von Victoria Holt, das ihre Großmutter gelesen hatte, als sie starb – Herrin auf Mellyn , das sie aus der Bibliothek gestohlen hatte und wofür sie sich zutiefst schämte. Sie hatte noch nie irgendwo anders gelebt als in dem winzigen Apartment bei der Raststätte.
Dies war der Beginn von Elenas innerer Zerrissenheit. Hin- und hergerissen zwischen der Welt der Weißen und der Spanier, wie sie sich damals nannten – nicht Mexikaner, das war etwas anderes. Spanisch, um sich gegen Indianisch abzugrenzen, was Weiße überall sein wollten, nur nicht in New Mexico, wo die Spanier das Sagen hatten. Spanisch, das war ihre Sprache. Spanisch waren ihre Farben. Spanisch waren ihre Lebensgewohnheiten. Alles war spanisch.
Jeden Abend rollte Elena sich mit ihrem Buch zusammen, vergrub das Gesicht in ihrer Decke und weinte lautlos. Es war, als klaffe ein riesiges Loch in ihrem Herzen, oder, was noch viel schlimmer war, in ihrer Brust, weil alles, was sie
liebte, herausgerissen worden war. Der Schmerz drohte ihr förmlich den Atem zu rauben.
Es gab nur zwei Lichtblicke in ihrem Leben. Einer davon war Isobel, die auf den Tag genau sechs Monate jünger war als Elena und ihre Zwillingsschwester hätte sein können. Sie schob ihre Socken und Unterwäsche ein Stück zur Seite, um Platz für Elenas überschaubare Habseligkeiten zu machen, und rückte die Stühle am Abendbrottisch so hin, dass Elena neben ihr sitzen konnte.
Elena war hingerissen von Isobel mit ihrem glänzenden Haar, dem geschwungenen Mund und den großen Zähnen mit den leicht unregelmäßigen Kanten. Sie hatte ein lautes, herzhaftes Lachen, stand auf blau lackierte Fingernägel und steckte ständig in irgendwelchen Schwierigkeiten. Sie schliefen im selben Bett, gingen
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