Das Glücksrezept - O'Neal, B: Glücksrezept - The Lost Recipe for Happiness
Angestellten, hiesige Geschäftsleute und Nachbarn, die sie mit einem unwiderstehlichen Angebot anlocken würden – sich kostenlos durch die Speisekarte zu futtern und ihnen damit zu helfen, nicht nur die Qualität der Speisen selbst, sondern auch des Personals in Küche und Service auf die Probe zu stellen.
Und das war eine ganze Menge, dachte Elena beim Einschlafen. Eine gewaltige Menge.
In seinem klapprigen, nicht beheizbaren Wohnwagen zerrte Ivan Santino die Jalousien hoch und zündete sich einen Joint an. Seine Hände zitterten leicht – Überbleibsel einer Nacht mit viel Alkohol und einem Albtraum. Der Albtraum war alt und an manchen Stellen so körnigverblichen wie eine zu oft abgespielte Filmrolle, aber immer noch grell genug, um ihn abrupt aus dem Schlaf zu reißen. Manche Leute nahmen Beruhigungsmittel, Antidepressiva und weiß Gott was noch alles – fein säuberlich von Ärzten verschrieben, die sich eine goldene Nase an ihnen verdienten. Ein kleiner Joint erfüllte seinen Zweck bestimmt genauso. Schnell und effizient. Noch während er den Rauch in der Lunge hielt, verblassten die hässlichen Bilder. Noch ein Zug, tief und kräftig, dann ließ auch das Zittern seiner Hände nach. Es war guter Stoff, von
seinem alten Freund Billie Kite, der ebenfalls aus der Gegend hier stammte und die Hälfte des Bezirks mit allem versorgte, was das Herz begehrte: Methadon, Shit, Crack, Pillen – ein lukratives Geschäft in einer Stadt voller Leute mit zu viel Zeit und Geld. Billy fuhr einen Lexus-Geländewagen.
Ivan nahm einen letzten Zug, sehr kurz diesmal, und drückte die Spitze zwischen seinem schwieligen Daumen und Zeigefinger aus, um sich den Rest für ein andermal aufzuheben. Gedankenverloren ließ er den Rauch entweichen und blickte bewundernd auf die Wiese hinter dem Wohnwagen hinaus, ein offenes Stück Land mit hellgrünem Gras und winzigen Gebirgsgänseblümchen. Am Horizont zogen dunkle Wolken auf. Es würde ein unbeständiger Tag werden. Herrlich. Er liebte unbeständige Tage. Ebenso sehr wie in der dampfenden Küche zu stehen, während im Hintergrund Musik lief und das Essen in den Pfannen und Töpfen vor ihm allmählich Gestalt annahm, inmitten des Geruchs von brutzelndem Fleisch und des Desinfektionsmittels des Spülers, der den Boden aufwischte, während ein Schwall feuchter Luft zum Fenster hereinwehte. Perfekt. So musste es sein.
Von Zeit zu Zeit genehmigte sich Ivan einen Joint vor der Arbeit, insbesondere an jenen Tagen, wenn er Neues ausprobierte, neue Geschmacksrichtungen und Farben. Das Dope schärfte die Sinne, ließ Aromen hervortreten, die er unter anderen Umständen vielleicht nicht wahrnehmen würde. Noch blieb ihnen mehr als genug Zeit, um mit neuen Ideen für die Karte herumzuspielen, und die Zutatenliste der neuen Küchenchefin enthielt so manches, das ihn inspirierte. Eine neue Klarheit, neue Aspekte und Blickwinkel, Möglichkeiten, die seine Fantasie in einer Weise anregten, wie es schon lange nicht mehr der Fall gewesen war.
Er zog ein Päckchen Newport aus der Brusttasche seines Hemds und zündete sich eine an. Der scharfe Mentholgeschmack
kühlte seine Kehle. Mit einem Gefühl tiefen Wohlbehagens stieß er die Luft aus. Diese Geschichte mit der neuen Küchenchefin hatte ihn aus heiterem Himmel getroffen. Es war nicht so einfach, sie zu piesacken. Es fiel ihm schwer, sich an sein ursprüngliches Vorhaben zu halten, sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Denn genau das hatte er tun wollen, nachdem er erfahren hatte, dass man ihm jemanden vor die Nase setzen würde.
Dieser erste Eindruck von ihr – die Schneekönigin aus einem uralten Märchen – bestand nach wie vor. Sie hatte etwas Tragisches an sich, ein lang gehütetes Geheimnis, das sie nicht preiszugeben bereit war, wie eine Königin, die ihr Reich verloren hatte. Er sah es an ihren manchmal steifen Bewegungen, wenn sie sich unbeobachtet glaubte; an der Art, wie sie ihr linkes Bein leicht nachzog, wenn sie müde war; daran, welche Mühe es sie kostete, einen schweren Topf Masa hochzuheben.
Er genoss seine Zigarette mit meditativer Ruhe. Er würde sie vorläufig in Frieden lassen, denn allein ihr hatte er es zu verdanken, dass Patrick nach Aspen, in sein Restaurant gekommen war. Jeden Tag freute er sich darauf, zur Arbeit zu gehen, jeden Tag ersann er neue Köstlichkeiten für den Sommelier mit der Schwäche für Süßes, Köstliches und alles Rechtschaffene. Patrick war anspruchsvoll, edel und spielte in
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