Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gluehende Grab

Das Gluehende Grab

Titel: Das Gluehende Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
Vom Netzwerk:
rief Bella an, um nachzufragen, wie sie
vorankam, und sich zu vergewissern, dass man sich um den Archivar
keine Sorgen zu machen brauchte. Die Sekretärin klang
mürrisch. Die Aufzeichnungen lagen zwar vor Ort, aber Bella
hatte das Schiff, mit dem Markús evakuiert worden war, {95
}noch nicht gefunden. Dóra tat ihr Bestes, um Bella zu
motivieren und die Wichtigkeit dieser Aufgabe zu
unterstreichen.
    Das Wetter war
so schön, dass Dóra einen Umweg machte und die Sonne
genoss. Sie entdeckte einen Souvenirladen, ging hinein und kaufte
einen kleinen Stoffpapageitaucher für ihre Tochter und winzige
Wollhandschuhe für ihren Enkel. Als die Verkäuferin die
Sachen gerade einpackte, rief Bella an.
    »Ich
hab’s gefunden«, rief sie triumphierend.
»Markús und Alda waren auf demselben
Schiff.«
    Dóra
lächelte die Verkäuferin zufrieden an und reichte ihr
ihre Kreditkarte. Die erste Hürde war genommen.
     
     
     

11
    MONTAG
16. JULI 2007
    »Dürfte
ich mal das Salz haben?«, fragte Dóra. Auf dem
hübschen Porzellanteller vor ihr lag ein hellblaues Ei mit
braunen Flecken. Sie hatte es halbiert, wobei glibberiges
Eiweiß zum Vorschein gekommen war, das eigentlich hartgekocht
sein sollte. Dóra war nicht sehr wählerisch beim Essen,
aber selbstgesammelte Eier aus irgendwelchen Nestern in der freien
Natur zählten nicht zu ihren Lieblingsspeisen. Normalerweise
hätte sie dankend abgelehnt und auf die Hauptspeise gewartet,
aber bei fremden Gastgebern hieß es stattdessen: gut salzen,
runterschlucken und lächeln.
    Leifur reichte
ihr grinsend den Salzstreuer. »Das ist nichts für
jedermann. Du musst das nicht essen.«
     
     
    Dóra
grinste zurück. »Nein, ich will es unbedingt
probieren«, log sie und kippte eine Prise Salz auf das
gräuliche Eiweiß. Dann reichte sie Bella den Salzstreuer
und beobachtete, wie diese dasselbe tat. Bella warf Dóra
einen vielsagenden Blick zu. Offenbar hatte sie dasselbe
Problem.
    Leifurs Frau
María saß am Kopfende des Tisches und musterte die
beiden Frauen. Sie fand die Szene überhaupt nicht komisch und
sagte zu ihrem Ehemann: »Ich begreife nicht, warum du das
immer allen Gästen vorsetzen musst.« Dann hob sie ihr
Glas und trank einen großen Schluck Weißwein.
»Das ist schon lange nicht mehr witzig.« Sie knallte
das Glas auf den Tisch. Offenbar hatte {97 }sie etwas zu viel
getrunken. María war eine sehr attraktive Frau, die in
jungen Jahren wunderschön gewesen sein musste. Allerdings war
sie extrem dünn, und Dóra hätte ihr Haus darauf
verwettet, dass sie ihre Figur mit ärztlicher Hilfe in Form
gebracht hatte. Sie war tadellos gekleidet, wenn auch nicht nach
der allerneuesten Mode. Aber ihr Outfit war zeitlos: Ein
knielanger, beiger Rock und eine cremefarbene Seidenbluse im selben
Ton wie die hochhackigen Wildlederschuhe. María war sehr
hellhäutig und wäre wahrscheinlich unsichtbar, wenn sie
in dieser Aufmachung an einem Stapel Heuballen vorbeiginge.
    »Hättest
du lieber deine angebrannte französische Zwiebelsuppe
serviert, Liebling?« Leifur warf seiner Frau einen
unterkühlten Blick zu. Er war nicht ganz so gut gekleidet wie
María, trug ein Hemd und eine Hose mit Bügelfalte. Aber
er wirkte viel entspannter als seine Frau.
    »Wohnt
ihr schon immer hier auf der Insel?«, fragte Dóra, um
die Atmosphäre zu lockern. Sie kannte solche Ehestreitereien
aus eigener Erfahrung. Bei Hannes und ihr hatten sie dazu
geführt, dass Gäste Einladungen dankend ablehnten, bis
sie sich endlich scheiden ließen. Dafür hatten sie noch
nicht einmal Wildeier servieren müssen.
    »Himmel,
nein!«, rief María.
    »María
kommt nicht von hier, wie ihr euch vielleicht denken
könnt.« Leifur grinste seine Frau sarkastisch an.
»Wir haben uns an der Uni in Reykjavík kennengelernt
und dort bis zu meinem Abschluss zwei Jahre gewohnt. Bis auf die
Studienzeit habe ich immer auf den Westmännerinseln
gelebt.« Leifur legte seine leere Eierschale auf den Teller
und nahm sich ein neues Ei. »Ich wollte immer Kapitän
werden, aber dann habe ich doch Betriebswirtschaft studiert.«
Mit geübten Händen pellte er das farbenfrohe Ei.
»Die Reederei meines Vaters wurde immer größer, da
war ein Betriebswirtschaftsstudium einfach nützlicher für
die Familie und die Firma.«
    »Das war
die richtige Entscheidung, oder?« Dóra wusste von {98
}Markús, dass die Reederei sehr gut lief. Sie steckte ihren
Löffel in das Ei und schluckte das glibberige Innere, ohne zu
zögern, schnell

Weitere Kostenlose Bücher