Das Gluehende Grab
ob sich das nicht noch
einmal ändert. Und Markús’ Sohn Hjalti
interessiert sich sehr für die Seefahrt und die Firma. Er ist
fast jeden Sommer bei uns und im Winter auch oft an den
Wochenenden. Er wäre sehr enttäuscht, wenn die Reederei
verkauft würde.«
Wieder schien
sich das Gespräch auf die ungeklärten Streitigkeiten der
Eheleute hinzubewegen. Bella stöhnte vernehmlich. Dóra
war sich nicht sicher, ob wegen des Themas oder wegen des immer
noch nicht ganz aufgegessenen Eis auf ihrem Teller. »Kannst
du dich noch an den Vulkanausbruch erinnern?«, fragte
Dóra Leifur in einem verzweifelten Versuch, die brisante
Situation zu entschärfen.
»Ja,
meine Liebe«, Markús schob seinen Teller beiseite,
»das vergisst man nicht.«
»Bist du
mit demselben Schiff wie Markús aufs Festland gebracht
worden? Ich suche jemanden, der ein Gespräch zwischen ihm und
Alda bezeugen kann.«
»Ja, ich
war an Bord«, antwortete Leifur nachdenklich. »Ich muss
allerdings gestehen, dass ich mich nicht wirklich an Alda erinnern
kann, aber das hat nicht viel zu sagen. Alda war so alt wie
Markús, also zwei Jahre jünger als ich. In dem Alter
hat man sich nicht besonders für Jüngere
interessiert.« Er trank einen Schluck Weißwein.
»Aber ich kann dir versichern, dass Markús meistens in
Aldas Nähe war.« Er stellte sein Glas ab. »Ich
glaube sogar, er ist nie ganz über sie hinweggekommen, noch
nicht mal als erwachsener Mann.«
»Den
Eindruck hatte ich auch.« Dóra versuchte, das
restliche {101 }Ei zurück in die Schale zu schieben, damit es
so aussah, als sei sie fertig. Sie legte den Löffel auf den
Tisch und tupfte sich zur Vollendung des Schauspiels den Mund mit
der Serviette ab. »Könnte sich sonst jemand an das
Gespräch auf dem Schiff erinnern? Deine Mutter
vielleicht?«
Leifur
schüttelte den Kopf. »Meine Mutter bestimmt nicht. Sie
war furchtbar seekrank und hatte genug mit sich selbst zu
tun.« Er rückte das Glas auf dem Tisch hin und her.
»Lass mich darüber nachdenken. Vielleicht fällt mir
sonst noch jemand ein, der mit dabei war. Markús’
Freunde könnten am ehesten was mitgekriegt haben, die ganze
Klasse war in das Mädchen verliebt.«
Dóra
nahm ihre Handtasche von der Stuhllehne und holte eine Kopie von
Bellas Liste aus dem Stadtarchiv heraus. »Das ist eine Liste
der Personen, die mit auf dem Schiff waren. Vielleicht kennst du
ein paar Namen.« Sie reichte Leifur die
Blätter.
Leifur
überflog die handgeschriebene, vier Seiten lange Liste.
Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Jóhanna,
Aldas jüngere Schwester. Sie wohnt noch hier und arbeitet in
der Bank. Vielleicht kann sie helfen. Wenn du willst, spreche ich
morgen mit ihr.«
Dóra
nahm das Angebot dankend an. Bella hatte ihren Kampf mit dem Ei
inzwischen aufgegeben und ihre Serviette mit einer ungewohnt
aparten Handbewegung darüber drapiert. »Vielen
Dank«, sagte sie leise und schob ihren Teller beiseite.
»Schmeckt sehr interessant«, fügte sie, ohne
aufzuschauen, hinzu und starrte die Tischdecke an.
Marías
Lächeln reichte nicht bis zu ihren Augen. Sie stand auf und
begann, den Tisch abzuräumen. Dann verschwand sie in der
Küche, und sie hörten, wie sie das Hauptgericht
vorbereitete. Dóra hoffte, dass es nicht noch mehr
ausgefallene Speisen gab. Sie malte sich aus, wie die Frau mit
einem Riesenberg gebratener Seesterne wieder auftauchte. »Hat
die Polizei eigentlich schon mit dir gesprochen, Leifur?«,
fragte Dóra. »Oder mit deinen
Eltern?«
»Die
Kripo Reykjavík hat mich angerufen. Ich hab ihnen gesagt,
{102 }wie es ist, dass ich nichts über die Sache
weiß«, antwortete Leifur. »Aber das war bestimmt
noch nicht alles. Sie haben mich gefragt, ob ich oder meine Eltern
in der nächsten Zeit verreisen wollen. Dann haben sie gesagt,
sie würden mich wieder kontaktieren und offiziell vorladen.
Ich hab ihnen erklärt, dass mein Vater nicht
vernehmungsfähig ist wegen seiner Krankheit. Das war, wenn ich
mich recht erinnere, am Freitag. Seitdem hab ich nichts mehr von
ihnen gehört.« Leifur zuckte teilnahmslos die Achseln.
Dóra war sich nicht sicher, ob seine Gleichgültigkeit
echt oder gespielt war. »Die sollen ruhig kommen. Wir haben
nichts zu verbergen.«
»Dann
brauchst du dir auch keine Sorgen zu machen«, sagte
Dóra höflich lächelnd. »Aber wie
erklärst du dir eigentlich die Leichen in eurem Keller?
Darüber hast du doch bestimmt
nachgedacht.«
»Natürlich
habe ich das. Aber ich weiß weder, wer
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