Das Gluehende Grab
Ich hab einen Jungen namens
Stebbi verdächtigt, der ein bisschen in Alda verknallt war.
Aber er hat es abgestritten.«
Dóra
dachte an den Eintrag in Aldas Tagebuch, dass sie Stebbi
geküsst hatte. »Ist sonst niemand in Frage
gekommen?«
»Nein,
eigentlich nicht. Alda ist mit allen gut ausgekommen und hatte
keine Feinde. Aber ich hab alles versucht, um den Schuldigen zu
finden. Als ich dann erfahren hab, dass die Sporthalle die ganze
Nacht nicht abgeschlossen war, hab ich’s drangegeben. Es
hätte jeder sein können.«
»Was
weißt du über eure damaligen Nachbarn, Valgerður und
Daði? Könnten die was mit dem Tod der Männer zu tun
haben?«, fragte Dóra.
Markús
schaute sie mit kaltem Blick an. »Ja – wenn sie aus
Abscheu gestorben sind.«
Auf dem Weg
vom Gefängnis Litla-Hraun in die Stadt rief Dóra beim
Gymnasium Reykjavík an und war erstaunt, dass abgenommen
wurde. Der Mann beklagte sich, als sie ihr Anliegen vortrug,
versprach aber, die Informationen für sie rauszusuchen. Es
würde einen Moment dauern, sie solle nach einer Viertelstunde
noch einmal anrufen. Als Dóra wieder anrief, sagte er
atemlos: »Ich hab’s gefunden. Alda
þorgeirsdóttir ist im Herbst 1973 auf die Schule
gekommen und hat im Frühjahr 1977 mit hervorragenden Noten
ihren Abschluss gemacht.«
»Herbst
1973? Ist sie nicht erst zum Jahreswechsel dazugestoßen? Ich
dachte, sie hätte erst im Winter bei euch angefangen. Sie muss
vom Gymnasium Ísafjörður gewechselt
sein.«
»Hier
steht nichts vom Gymnasium Ísafjörður.« Der
Mann blätterte in seinen Papieren. »Sie war definitiv
seit Herbst bei uns registriert, hatte allerdings im ersten
Halbjahr aus Gesundheitsgründen Heimunterricht. Hier steht
nicht, um welche Krankheit es sich handelte. Solche vertraulichen
Informationen werden woanders {192 }aufbewahrt. Aber wie dem auch
sei, im Januar 1974 ist sie gesund und munter hier
eingetroffen.«
Dóra
bedankte sich bei dem Mann. Alda war offenbar nie in den
Westfjorden aufs Gymnasium gegangen. Die Geschichte war
erfunden.
22
SAMSTAG
21. JULI 2007
Als
Dóra an der Reling der Fähre Herjólfur stand,
klingelte ihr Handy. Sie hatte den Wasserweg zu den
Westmännerinseln gewählt, da der Wetterbericht für
den nächsten Tag schlecht war und sie nicht wegen
Flugplanänderungen einen Tag länger auf der Insel
festsitzen wollte. Diesmal hatte sie sich vorgenommen, etwas
über Valgerður und Daði zu erfahren, sowie mit
Markús’ Mutter und hoffentlich auch mit seinem Vater
zu sprechen. Bella hatte sich in der Kabine
hingelegt.
Der Anruf kam
von Matthias aus Deutschland. Die Fähre entfernte sich in
raschem Tempo von sämtlichen Mobilfunkmasten auf dem Festland,
und die Verbindung war entsprechend schlecht. »Wo bist du
eigentlich?«, fragte er.
»Auf dem
Meer. Die Verbindung kann jeden Moment abreißen. Ich bin auf
dem Weg zu den Westmännerinseln, wegen dieses alten
Falls.«
»Du
meinst die Leichen und den Kopf im Keller?« Aufgrund des
Knackens und Rauschens in der Leitung wartete er ihre Antwort nicht
ab, sondern kam direkt zum Thema. »Wie wär’s, wenn
ich dich nächste Woche besuchen
komme?«
»Super«,
sagte Dóra aus tiefstem Herzen. »Kommst du wegen des
Jobs?« Sie versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass es
ihr auf der Zunge brannte, ihn nach seiner Entscheidung zu
fragen.
»Ich
habe ein Vorstellungsgespräch«, antwortete Matthias.
»Sie wollen mir die Hauptniederlassung zeigen und mich den
wichtigsten Chefs vorstellen. Ich möchte mich erst danach
endgültig festlegen, obwohl ich mich im Grunde schon
entschieden hab.«
»Und?
Was wirst du tun?«
»Ich ...
wenn ... dann ...« Der Empfang riss ab. Dóra wäre
fast zum Heck des Schiffes gerannt, um die Verbindung
wiederherzustellen und Matthias nach seiner Entscheidung zu fragen,
aber es hatte keinen Zweck. Sie seufzte und steckte das Handy
zurück in ihre Tasche.
»Würdest
du diese beiden Häuser miteinander verwechseln?«, fragte
Dóra. Sie stand, die Hände in die Hüften
gestützt, auf der Ausgrabungsstätte Pompeji des Nordens
und betrachtete Markús’ Elternhaus und das Haus, in
dem Valgerður und Daði gewohnt hatten.
»Nein.«
Bella gähnte. »Sie sind total unterschiedlich. Das da
ist ja nur noch eine Ruine.« Sie zeigte auf das Nachbarhaus.
Das war keine Übertreibung. Das Dach hatte unter dem Druck der
Asche nachgegeben, und die Außenwände sahen aus wie der
schiefe Turm von Pisa.
»Stell
dir vor, du wärst mitten in einem
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