Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gluehende Grab

Das Gluehende Grab

Titel: Das Gluehende Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
Vom Netzwerk:
Nachwuchs
haben.«
    »Ja,
ja.« Der Mann wirkte unbeeindruckt. »Es gibt kein
Verbot, nur einen Appell. Der Fang für den Eigengebrauch ist
für die Vogelpopulation
unbedenklich.«
    »Gehen
die Männer da drüben auf Jagd?« Dóra zeigte
auf das kleine Boot, das gerade an ihnen
vorbeisauste.
    Paddi winkte
den Männern zu, die seinen Gruß mit unbewegten Mienen
erwiderten. Dóra beobachtete Paddi, der am Steuer stand und
die vor ihnen liegende Hafenausfahrt fixierte. Sie passierten eine
Klippe und sahen einen Jungen hoch oben in schwindelnder Höhe
nahe am Abgrund sitzen. Neben ihm lagen eine Menge tote
Papageitaucher und ein Kescher. Er hatte eine gelbe Fahne in einen
Grashügel gesteckt, und um ihn herum flogen unzählige
{219 }Papageitaucher. »Was ist das für eine
Fahne?« Es sah aus wie eine Sicherheitsvorkehrung.
    »Papageitaucher
sind von Natur aus neugierig«, erklärte Paddi.
»Sie fliegen zu der Fahne, und so kann der Junge sie leicht
fangen.«
    »Hat der
Junge eine so große Familie?« Dóra wunderte sich
über die vielen Vögel, die um den jungen Jäger
herumlagen.
    »Indem
er die toten Vögel so hinlegt, nimmt er den anderen die
Angst«, antwortete Paddi und umging damit Dóras Frage
nach dem großen Fang. »Sie kapieren nicht, was mit
ihren Kameraden passiert ist, und glauben, dass sie gefahrlos
näher kommen können.«
    Dóra
spürte, dass der Mann sie für eine typische
Stadtbewohnerin hielt, die nichts über die Jagd wusste und
sich lieber bedeckt halten sollte. Schon verständlich –
Dóra ging es schließlich auch auf die Nerven, wenn
ausländische Walfanggegner sich über den Walfang der
Isländer ausließen. Sie beobachtete schweigend, wie der
Junge den Kescher in hohem Bogen über seinen Kopf schwang. Als
der Papageitaucher, auf den er es abgesehen hatte, knapp entwischte
und tollpatschig weiterflog, musste sie grinsen. Dóra
drückte dem Vogel die Daumen – er war so liebenswert,
dieser schlechte Flieger mit dem drolligen Aussehen. In der
Broschüre, die Dóra gelesen hatte, während Bella
sich umzog, stand, dass Papageitaucher ein Leben lang mit ihren
Partnern zusammenblieben. Im Herbst flog jeder seines eigenen
Weges, und das Männchen kehrte dann ein paar Wochen vor dem
Weibchen wieder zurück. Dóra fand es großartig,
dass das Männchen diese Zeit nutzte, um das gemeinsame Erdloch
zu säubern und alles für die Ankunft seiner
Gefährtin vorzubereiten. »Fahren wir weit raus?«,
fragte Dóra, als sie die Hafenausfahrt hinter sich gelassen
hatten.
    »Wenn
ihr was fangen wollt, müssen wir weiter vom Ufer weg«,
erklärte Paddi. Er spähte über die
Wasseroberfläche, so als erwarte er, dass ihm springende
Fischschwärme den Weg weisen würden.
    »Von mir
aus brauchen wir nichts zu fangen«, tönte Bella.
»Ich esse keinen Fisch. Fisch ist widerlich.«
Dóra drehte sich zu Bella und gab ihr durch ein Zeichen zu
verstehen, dass sie den Mann bei Laune halten mussten. Bella warf
ihr einen vernichtenden Blick zu und knurrte: »Aber
Papageitaucher finde ich super lecker.«
    Paddi murmelte
etwas Unverständliches und spähte weiter über das
ruhige Meer. Das Wetter hätte nicht besser sein können.
Sonnenstrahlen funkelten auf der stillen Wasseroberfläche und
bildeten ein glitzerndes Lichtermeer.
    Paddi nahm
Kurs auf die Insel Bjarnarey. In den hohen, steilen Klippen hingen
Seile, an denen Männer zur Jagd hinauf auf das grasbewachsene
Plateau kletterten, wo eine schmucke Hütte stand. Dóra
wäre niemals dort hinaufgeklettert, aus Angst, nicht wieder
herunterzukommen. »Versuchen wir’s hier«, sagte
der alte Seemann und wischte sich die Hände an seiner
ausgewaschenen Jeans ab. »Hier fangen wir bestimmt
was.« Ein Schwarm Möwen, der um das Boot herumgeflogen
war, schwebte hinunter und ließ sich auf dem Wasser nieder.
Dort schaukelten die Vögel auf den Wellen und warteten auf
einen leckeren Happen.
    »Also,
jetzt beginnt das große Fischen.« Paddi führte sie
auf das untere Deck, wo mehrere große, wuchtige Angeln neben
einer offenen Tonne aufgestellt waren. Er reichte jeder Frau einen
Gurt mit Angelrutenhalter und half ihnen beim Anlegen. »Ihr
müsst die Fangleine bis auf den Grund runterlassen, da sind
die Fische.« Paddi beobachtete die Bemühungen der Frauen
mit kritischem Blick. Dóra war die Sonnenbrille auf die
Nasenspitze gerutscht, aber sie traute sich nicht, die Angel
loszulassen, aus Angst, sie könnte ins Meer gleiten. Sie sagte
zwar nichts, hoffte aber, dass bei ihr kein

Weitere Kostenlose Bücher