Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
werde.“
Anstatt zu antworten, schlug ich die Tür zu und versuchte zu ignorieren, wie sehr meine Hände zitterten.
James holte mich am nächsten Morgen ab, und er hatte sogar daran gedacht, mir einen Bagel mitzubringen. Ich knabberte lustlos daran herum, während wir zum Krankenhaus fuhren. Mein Appetit hatte mich endgültig verlassen. Zum Glück versuchte James nicht, eine Unterhaltung anzufangen.
Als ich wieder am Bett meiner Mutter saß, schlich sich ein trü-gerischer Gedanke in meinen Kopf. Wenn Henry Ava gerettet hatte – wenn das wirklich geschehen war und nicht bloß Einbildung oder ein grauenvoller Streich gewesen war –, konnte er dann auch meine Mutter retten?
Ich wischte den Gedanken beiseite. Schließlich konnte ich es mir nicht leisten, solche Dinge zu denken. Nicht während ich mich auf das Ende vorbereiten musste, das sich nun in Riesenschritten näherte. Davon abgesehen war das, was Henry angeblich getan hatte, schlicht unmöglich. Ein glücklicher Zufall oder eine Sinnestäuschung oder irgendeine Art grausamer Scherz, den Ava immer noch nicht aufgedeckt hatte – was auch immer es gewesen war, die Stunden meiner Mutter waren gezählt, und kein Zaubertrick der Welt würde sie retten. Sie hatte schon wesentlich länger durchgehalten, als die Ärzte prognostiziert hatten, und ich wusste, ich sollte dankbar sein für die Zeit, die ich mit ihr gehabt hatte. Doch sie langsam dahinschwinden zu sehen, während die Stunden verstrichen, machte das unmöglich.
Erst als wir am Abend langsam über den Parkplatz des Krankenhauses gingen, erzählte ich James, was in der Nacht geschehen war. Als ich meine Geschichte beendet hatte, blieb er still, die Hände in den Taschen seiner schwarzen Jacke vergraben.
„Du meinst, die sind einfach so aufgetaucht, ohne Vorwarnung?“
Ich nickte, innerlich zu leer, um mir noch Gedanken darüber zu machen. „Sie waren eigentlich gar nicht unhöflich, aber es war einfach … seltsam.“
Er öffnete mir die Autotür, und ich ließ mich auf den Beifahrersitz fallen. Erst als er sich ans Steuer setzte, sprach er wieder. „Du kannst das nicht tun, Kate.“
„Das hatte ich auch nicht vor. Sie würde mich niemals alleinlassen, wenn ich in so einem Zustand wäre.“
„Gut“, sagte er.
Wir fuhren über den Parkplatz, dem Sonnenuntergang entgegen. Ich hielt mir die Hand vor die Augen, während ich versuchte, den Mut zu finden, das auszusprechen, woran ich schon den gesamten Tag gedacht hatte.
„Was, wenn er meine Mutter retten kann?“
James runzelte die Stirn. „Was würde er dann dafür von dir verlangen?“
„Was auch immer es wäre, das wäre es wert“, antwortete ich leise. „Wenn es bedeuten würde, dass sie lebt.“
James streckte die Hand aus und legte sie über meine. „Ich weiß, dass es das wäre, aber manchmal ist alles, was wir tun können, Lebewohl zu sagen.“
Mein Gesicht wurde heiß, und vor meinen Augen verschwamm alles. Ich wandte mich von James ab und starrte blicklos aus dem Fenster.
„Was, glaubst du, wird passieren, wenn ich nicht auftauche? Glaubst du, er wird Ava etwas antun? Das war unser Deal – ich tue, was er will, und dafür rettet er sie.“
„Er wird ihr nicht wehtun“, versuchte James mich zu beruhigen, doch aus dem Augenwinkel sah ich, wie sein Griff um das Lenkrad fester wurde. „Nicht wenn er auch nur im Entferntesten menschlich ist.“
Mit meinem Ärmel trocknete ich mir die Augen. „Ich bin mir nicht so sicher, ob er das wirklich ist.“
Als ich nach Hause kam, warteten sechs Nachrichten auf dem Anrufbeantworter auf mich. Die erste kam von der Schule. Man wollte wissen, wo ich war. Die nächsten fünf waren alle von Ava, und mit jedem Mal klang ihr Ton besorgter.
Obwohl ich erschöpft war, rief ich sie zurück. Es tat gut, ihre Stimme zu hören, obwohl sie so nervenaufreibend fröhlich und gesprächig wie immer war. Sie plapperte genug für uns beide, und es schien sie nicht zu stören, dass ich kaum ein Wort sagte. Obwohl James sicher zu sein schien, dass ihr nichts passieren würde, konnte ich meine Sorge um sie nicht ignorieren. Auch wenn ich sie erst ein paar Wochen kannte, fühlte ich mich nach dem Vorfall am Fluss für sie verantwortlich. Ich konnte vielleicht nichts tun, um meiner Mutter zu helfen, aber wenn Ava meinetwegen irgendetwas zustieß – ich würde es nicht ertragen können.
„Ava?“, brach es deshalb aus mir heraus, als wir gerade auflegen wollten.
„Ja?“ Sie klang
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