Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
„Der Typ mit den Blitzen?“
Ich konnte förmlich Rauch aus Avas Ohren aufsteigen sehen. „Bist du irre oder einfach bloß unglaublich dumm?“
Ava rümpfte die Nase. „Weder noch, danke. Calliope? Ist das der Typ mit den Blitzen?“
„Ja, der ist es“, bestätigte Calliope. „Das ist Henrys Bruder.“
Ich biss mir auf die Lippe, war für einen Moment sprachlos. Es fiel mir sowieso schon schwer, das alles hier zu glauben. Jetzt kam sogar noch der König der Götter hinzu, und auch die letzte winzige Möglichkeit für mich, das Ganze ernst zu nehmen, verabschiedete sich für immer. Davon abgesehen hatte ich keinerlei Zweifel daran, dass ich in dem Moment, in dem ich anfing, an das zu glauben, was sie sagten, in Ohnmacht fallen würde – und das war das Letzte, das ich wollte. Fürs Erste handelte es sich um Henrys Familie. Eine sehr beängstigende, sehr einschüchternde, sehr große Familie, aber alles in allem seine Familie. Das mit den Blitzen konnte ich erst mal ignorieren.
„Hier ist eine neue Regel“, erklärte ich und versuchte den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. „Niemand spricht über den Rat, außer ich frage danach. Ihr macht mir Angst, und ich schaff das nicht, wenn ich panisch bin, also … lasst uns einfach nicht drüber reden. Nicht bis dieser Ball vorbei ist. Okay?“
Keiner von ihnen schien das besonders viel auszumachen, und sie alle nickten, selbst Ava.
„Wir dürfen dir sowieso nicht so viel erzählen“, gestand Calliope. Ich runzelte die Stirn, aber ich stritt nicht mit ihr. Was Henry mir nicht erzählte, würde ich eben selbst herausfinden müssen.
„Eine Sache noch“, meldete sich Ella zu Wort. „Das ist das Letzte, was ich dazu sagen werde, aber du solltest es wirklich wissen. Die Ratsmitglieder werden es sein, die darüber entscheiden, ob du deine Prüfungen bestehst oder nicht. Und wenn du nicht bestehst, werden sie diejenigen sein, die entscheiden, was danach mit dir geschieht.“
In meinem Kopf drehte sich alles, und mit belegter Stimme fragte ich: „Was danach mit mir geschieht? Ich dachte, Henryhätte gesagt, ich würde mich an nichts erinnern.“
„Oh, mach dir keine Sorgen!“ Mordlüstern sah Calliope Ella an. „Das wirst du auch nicht. Sie werden dir nicht wehtun oder so was, zumindest glaube ich das.“ Sie zögerte. „Um ehrlich zu sein, hat es noch keine bis zu dem Punkt geschafft.“
So zornig, wie Ella sie jetzt anstarrte, kam mir der Verdacht, dass sie mir nicht die ganze Wahrheit sagten. Mir drehte sich der Magen um, und einen Moment lang dachte ich, ich müsste mich übergeben. Wenn der Rat mich nicht mochte, war ich verloren, und es würde niemand mehr da sein, den es interessierte, was mit mir geschah.
9. KAPITEL
DER BALL
„Ein Ball?“ Das glockenhelle Lachen meiner Mutter erklang, während wir die stark bevölkerte Straße in New York entlanggingen. „Sie kennen dich wirklich kein Stück, was?“
„Das ist nicht witzig.“ Ich vergrub die Hände in den Hosentaschen und starrte auf den Central Park. „Was ist, wenn Henrys Familie mich hasst?“
„Möglich ist alles, nehme ich an.“ Sie hakte sich bei mir unter und zog mich näher zu sich. „Ich wage das allerdings zu bezweifeln. Wer, um alles in der Welt, könnte dich hassen?“
Ich verdrehte die Augen und weigerte mich, den Teil der Geschichte zu erwähnen, nach dem mich irgendjemand in Eden Manor tot sehen wollte.
„Du bist meine Mutter. Du musst das sagen.“
„Stimmt.“ Sie grinste. „Aber das heißt nicht, dass ich es nicht so meine.“
In der Nähe erklang lautes Hupen, und meine Mutter und ich wurden ständig angestoßen, während wir in unserem eigenen Tempo den Gehsteig entlangspazierten. Ich schloss die Augen, wandte das Gesicht himmelwärts und atmete tief ein. Dieser Geruch war ganz New York, und mir wurde wieder bewusst, wie sehr ich die Stadt vermisste. Wie sehr ich es vermisste, mit meiner Mutter hier zu sein.
„Er glaubt, er sei ein Gott.“
„Tut er das?“ Meine Mutter hob eine Augenbraue. „Er hat Ava zurückgeholt, oder?“
Bevor ich etwas erwidern konnte, entdeckte sie einen Hotdog-Stand. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich nicht hungrig war, doch sie wollte nichts davon hören. Zwei Minuten später traten wir wieder in den Park ein, beide einen Hotdog in den Händen. Ihrer war mit allem belegt, was es an dem Stand gegeben hatte, ich hatte es bei Ketchup belassen.
„Er hat gesagt, er wäre mit Persephone verheiratet gewesen“,
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