Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
werde die ganze Zeit über bei dir sein“, besänftigte mich Ava. „Genau wie Henry und der Rat. Wenn irgendjemand versuchen sollte, dich umzubringen, muss er erst mal an uns allen vorbeikommen. Und jetzt vergiss das Atmen nicht.“
Jetzt in Ohnmacht zu fallen wäre der perfekte Ausweg. Aber bei meinem Glück würden sie einfach einen zweiten Ball abhalten, sobald ich mich erholt hätte.
Zwei Männer auf jeder Seite der Tür zogen sie für uns auf, und mein Herz hämmerte so laut, dass es wahrscheinlich noch auf der anderen Seite des Saals zu hören war. Einen Moment lang konnte ich in dem schummrigen Licht des Ballsaals nichts erkennen, doch viel zu bald sah ich, was mich erwartete. Der Saal war gewaltig, größer als die Cafeteria und die Aula der Eden High zusammen, und die einzigen Lichtquellen waren reich verzierte Kronleuchter. Alle waren so aufwendig gekleidet wie ich, und mir drängte sich der Eindruck auf, dass das hier das gesellschaftliche Ereignis des Jahrhunderts war.
Und Hunderte von Augenpaaren waren allein auf mich gerichtet.
„Kate?“, erklang Avas Stimme neben mir. Ich musste gewankt haben, denn sie ergriff meinen Ellbogen. „Kate, atme.“
Ein und aus, ein und aus – warum ging das schwerer, als es sollte?
„Kate, mach was!“, zischte Ava. „Alle sehen zu.“
Das war das Problem.
Im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen war noch nie mein Ding gewesen. Einmal in der Grundschule, lange bevor meine Mutter krank geworden war, hatten meine sogenannten Freunde mich überredet, bei einer Choreografie für eine Talentshow mitzutanzen. Ich war so nervös gewesen, dass ich nicht mal auf die Bühne gehen konnte, und als sie mich vor all den Menschen rausgestoßen hatten, hatte ich mich prompt mitten im Theater über-geben. Nicht gerade mein stolzester Moment.
Diesmal hatte ich wenigstens den Vorteil, dass sich nichts in meinem Magen befand, das wieder herauskommen konnte. Ich kann es schaffen, dachte ich. Ein Fuß vor den anderen – mehr musste ich nicht tun.
„Okay“, sagte ich und machte einen Schritt nach vorn. Die Stille, die sich über die Menge gelegt hatte, verwandelte sich in ein nervöses Wispern, und bei jeder Bewegung spürte ich ihre Blicke brennend auf mich gerichtet.
„Ladies und Gentlemen“, rief der Herold. „Hiermit präsen-tiere ich Ihnen Miss Katherine Winters.“
Tosender Applaus brandete auf, und wenn ich vorher noch nicht gedemütigt genug gewesen war, so wollte ich jetzt am liebsten sterben. Wenigstens war Ava immer noch an meiner Seite und stützte mich am Ellbogen. Jeder böse Gedanke, den ich je über sie gehabt hatte, löste sich in Luft auf. „Kate, guck mal, die Wachen! Sieh sie dir an“, flüsterte sie aufgeregt. „Sind die nicht umwerfend?“
Aus dem Augenwinkel sah ich die zwei Männer, die ich schon beim Frühstück am Morgen zuvor bemerkt hatte. Ella hatte gesagt, sie würden mir überallhin folgen, doch dies war das erste Mal, dass ich sie seitdem sah. Der Dunkelhaarige warf mir – nein, Ava – ein neckisches Lächeln zu. Der Blonde war genauso regungslos wie zuvor und beobachtete die Menge.
Zu meiner großen Erleichterung entdeckte ich Henry auf einem Podest am anderen Ende des Saals. In dem schummrigenLicht sah er so umwerfend aus wie immer, doch während mein Blick an ihm hängen blieb, war es nicht er, der plötzlich meine gesamte Aufmerksamkeit fesselte. Hinter ihm standen vierzehn Throne – allen Ernstes echte Throne . Auf keinem davon saß jemand, doch das war nicht nötig. Ich verstand sofort.
Der Rat war hier.
Wenn Henry recht hatte und das Unmögliche möglich war, dann waren diese vierzehn Personen der Stoff, aus dem Mythen gemacht waren. Und ich sollte … was? Mal eben hingehen, ihnen die Hand schütteln und mich vorstellen?
Irgendwie blieb ich in Bewegung. Bevor ich verarbeiten konnte, was um mich herum geschah, hatten wir das Podest erreicht, und Calliope half mir die Stufen hinauf, während sie so tat, als würde sie sich um den Saum meines Kleides kümmern. Als ich schließ-lich aus eigener Kraft oben stand, trat Henry auf mich zu und neigte grüßend den Kopf.
„Kate.“ Seine warme Stimme trug nicht dazu bei, mich zu beruhigen. „Du siehst wunderschön aus.“
„D…danke“, stotterte ich und versuchte einen Knicks zu machen. Es funktionierte nicht besonders gut. „Wie ich sehe, haben sie dich nicht gezwungen, ein Kleid zu tragen.“
Henry schmunzelte. „Und selbst wenn, hätte ich nicht annä-hernd so
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