Das Gold der Maori - Das Gold der Maori
wie sie gehofft hatte. Dabei hatte Michael wirklich versucht, seinem Sohn die damalige Lage in Irland verständlich zu machen und sein Handeln zu erklären. Aber Sean konnte einfach nichts als gegeben hinnehmen. Vielleicht war es der Einfluss des leidenschaftlichen Skeptikers Peter Burton, oder die Schule erzog ihn dazu, Fragen zu stellen. Tatsache war jedenfalls, dass Sean entweder nicht verstand oder nicht verstehen wollte. Natürlich beschönigte Michael die Dinge, aber er konnte Sean kaum von der Whiskeybrennerei seines Vaters erzählen. Stattdessen betonte er den irischen Freiheitskampf und nutzte seine gottgegebene Beredsamkeit, um alles zu einem Epos rund um Vaterlandsliebe und Heldenmut zu verweben. Leider war Sean längst aus dem Alter heraus, in dem man Märchen mit offenem Mund lauschte, und er war dank Claire Edmunds mit ausreichend Geschichten groß geworden, um Lüge und Wahrheit zu erkennen. Jetzt schien es ihm geradezu Spaß zu machen, im Gespräch mit seinem Vater den Großinquisitor zu spielen.
»Du hast also Trevallians Korn gestohlen«, bemerkte er, als Michael ihm die Geschichte seiner Gefangennahme erzählte. »Um mit Mom nach Amerika reisen zu können. Aber es war doch trotzdem Unrecht, oder?«
Michael zuckte die Achseln. »Trevallion war ein Verräter. Er machte gemeinsame Sache mit den Engländern. Und das Volk hungerte.«
»Du hast also Hunger gehabt?«, insistierte Sean.
»Also ich nicht direkt«, murmelte Michael. »Es war mehr … nun, es ging um prinzipielle Fragen … Irland gehört uns, den Iren! Seine Flüsse, seine Felder, das Korn, das darauf wächst!«
Sean runzelte die Stirn. »Du meinst, es ging um … politische Gründe?«
Michael nickte erleichtert. »In gewisser Weise, Sean«, erklärte er wichtig.
Sean rieb sich die Schläfen. »Also ging es doch nicht um Mom …?«
Michael sog scharf die Luft ein. Er musste sich beherrschen. Sean war … nun, Sean hatte einfach der Vater gefehlt, der ihm die Liebe zu Irland nahebrachte – bei aller Entfernung.
»Natürlich ging es um deine Mutter! Und um dich. Aber …«
»Was hast du denn dann gemacht, mit Trevallions Korn?«, erkundigte sich Sean, immer noch ganz gelassen und mit klarer Stimme. »Ich verstehe das nicht recht: Wenn du es aus Patriotismus gestohlen hättest, durftest du es doch nicht verkaufen. Also Reverand Burton, der hätte … der hätte es in der Kirche verteilt oder so.«
Michael knirschte mit den Zähnen.
»Aber wenn du es verkauft hast … dann hast du dich doch im Grunde dran bereichert … an der Hungersnot!«
Kathleen beschloss, Michael und Sean vorsichtig aneinander vorbeizulavieren. Es war sicher die bessere Lösung, wenn der Junge in Dunedin blieb, falls sie Michael wirklich nach Queenstown folgte. Kathleen zog den Umzug auf die Farm immer noch in Zweifel, wenn sie gerade nicht mit Michael zusammen war. Im Grunde gefiel es ihr in Dunedin, gerade jetzt, da sie endlich aus der Starre erwacht war, in die sie nach Ians Tod gefallen war.
Was Ian anging, so betrachtete sie ihre Geschichte inzwischen aus einem anderen Blickwinkel. Father Parrish hatte ihr erfolgreich eingeredet, Gott wolle sie strafen, aber jetzt hatte Gott ihr Michael zurückgebracht! Es war völlig unmöglich, dass der Herr ihr zürnte, ihr übel nahm, dass sie Ian und Colin zunächst verlassen und dann Colin nach England geschickt hatte! Egal, was der bärbeißige Priester sagte: Kathleen sah Ians Tod jetzt als glückliche Fügung – der Weg zu Michael war frei. Die Ehe mit Ian hatte zweifellos nur dazu gedient, sie in das gleiche Land zu verschlagen, in das Gott auch Michael geführt hatte. Gott liebte offensichtlich verschlungene Wege – das hatte Reverend Burton ja schon immer gesagt, man musste nur an die Sache mit der Evolution denken! Und Colin schrieb aus England begeisterte Briefe – zwar voller Rechtschreibfehler, aber als Scharfschütze schien er sich auszuzeichnen, und er entpuppte sich wohl auch als begabter Nautiker.
Kathleen jedenfalls fühlte sich so frei und glücklich wie nie zuvor, und sie hätte das gern mit der ganzen Stadt gefeiert. Hier allerdings fiel ein Wermutstropfen in ihre Seligkeit. Michael zeigte wenig Lust, sie auf die Bälle und zu den Vernissagen, in die Konzerte und Theaterstücke zu begleiten, in die Jimmy Dunloe Claire führte. Kathleen versuchte ein- oder zweimal, ihn dazu zu bringen, aber er bewegte sich linkisch in der feinen Gesellschaft Dunedins, und die Leute tuschelten über
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