Das Gold der Maori - Das Gold der Maori
das nicht, Lizzie«, bemerkte Mrs. Smithers und hieß ihren Kutscher, das Verdeck über ihre schmucke Chaise zu ziehen. Es hatte eben zu regnen begonnen. »Aber die Kerle haben es nicht anders verdient. Wer hier schuften muss, gerade in den Chain Gangs, hat sich anderswo nicht bewährt. Die meisten waren schon in England Schwerverbrecher, und hier haben sie sich dann noch mehr zuschulden kommen lassen. Ich weiß, sie tun dir leid. Aber halte dir vor Augen, dass es sich um Räuber und Mörder handelt!«
»Aber manche … manche sind doch auch nur Ausbrecher …«, wagte Lizzie einzuwenden.
In der Female Factory war davon gesprochen worden, dass ein paar der Männer immer wieder versuchten, der Gefangenschaft zu entkommen. Für die Mädchen waren sie romantische Helden, unbeugsame Rebellen, die auch durch die härteste Behandlung nicht zu brechen waren. Das Ende war dann stets das gefürchtete Gefängnis in Port Arthur oder Zwangsarbeit in der Chain Gang. Bislang war weder aus den Mauern von Richmond Gaol noch aus den Ketten einer Gang je ein Häftling entkommen. Lizzie erkannte jetzt, dass dieses Schicksal nichts Romantisches hatte. Die Männer schufteten bis zum Umfallen. Es wäre zweifellos besser gewesen, sich zu fügen und auf eine Begnadigung hinzuwirken, statt auf Flucht.
»Ein paar bestimmt«, meinte Mrs. Smithers wegwerfend. »Aber wenn du mich fragst: Auch Dummheit ist strafbar! Und wer mehrmals ausbricht, ist unfassbar töricht. Wo wollen die Kerle denn hin? In den Dschungel? Wo die Schlangen sie umbringen oder die wilden Tiere? Die Städte sind zu klein, um unterzutauchen, Jericho, Hobard, Launceston – das ist alles nicht London. Dazu kennen sie hier niemanden. Eine Flucht ist einfach aussichtslos.«
»Aber wenn sie ein Schiff stehlen?«, fragte Lizzie. »Wenn sie heimsegeln?«
»Heim?« Mrs. Smithers lachte. »Über die Tasmansee, den Indischen Ozean, rund ums Kap der Guten Hoffnung? Den Atlantik? Kindchen, wenn von denen einer das Zeug zum Hochseekapitän hätte, dann wäre er nicht hier. Allerdings habe ich davon gehört, dass manchmal welche nach Neuseeland entkommen. Aber das ist auch nur Hörensagen. Und ob sie dann auf dieser Insel sitzen oder auf einer anderen, das ist letztlich auch egal.«
Nicht für jemanden, der frei sein will, dachte Lizzie beklommen und versuchte, die Sehnsucht in Michaels Augen zu vergessen. Sein Blick hatte sie dahinschmelzen und ebenfalls von Freiheit träumen lassen. Aber er hatte dabei ohnehin nur an dieses Mädchen gedacht, das er Mary Kathleen nannte.
Das Haus in Campbell Town war wirklich imponierend. Mrs. Smithers hatte nicht zu viel versprochen: Die Besitzer des Anwesens verfügten über eine Art Schloss. Lizzie staunte über die vielen Zimmer, die voluminösen Möbel, das Silber und das Porzellan aus England. In der nächsten Zeit sollte sie lernen, es täglich auf Hochglanz zu polieren, aber an diesem ersten Tag wanderte sie nur ungläubig von einem Wunder zum anderen.
Das größte war in Lizzies Augen die Kammer im Dienstbotentrakt, die man ihr zuwies. Sie war klein. Außer einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl und einem Regal passte nicht viel hinein, aber sie gehörte allein Lizzie. Keiner störte sie mehr durch Schnarchen, Weinen oder Reden im Schlaf. Das Bettzeug war einfach, aber sauber – und wenn es Lizzie gelang, ein paar Blüten an sich zu bringen und zu trocknen, konnte sie darin den gleichen Duft verbreiten wie in dem Gästehaus in Jericho. Schwierig konnte das nicht sein, Rosen gab es im Garten.
Selbst Lizzies Befürchtung, die anderen Bediensteten könnten auf sie herabsehen, weil sie ein Sträfling war, löste sich sofort in Wohlgefallen auf. Auch die Köchin entpuppte sich als begnadigte Deportierte.
»Hab Schmiere gestanden bei einem Bruch von meinem Kerl!«, bekannte sie sofort. »Gott, war ich dumm damals, aber ich dachte doch, der macht das große Geld. Stattdessen hat er einen erschossen. Ich hab noch Glück gehabt, dass ich nicht auch am Galgen geendet bin.«
Der Gärtner ging jede Nacht zurück in die Gefängnisbaracke, in der er seine Strafe absaß. Er dankte dem Himmel, dass er dem Straßenbau entgangen war, aber er war ein derart mickriges Männchen, dass man dort auch kaum etwas mit ihm hätte anfangen können. In Lizzie verliebte er sich gleich heftig, und nach kurzer Zeit konnte sie sich vor Rosenblättern kaum retten. Der Knecht war kräftiger, aber auch älter, er hoffte auf baldige Begnadigung und plante dann, die
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