Das Gold des Bischofs
Stanstedes Hals zurück. Er wollte herausfinden, ob etwa auch der Gewürzhändler erwürgt worden war. Dann schob er das Hemd so weit wie möglich hoch und drehte den Leichnam auf den Bauch, um auch die Rückseite untersuchen zu können. Die Pfeilwunde in der Brust blieb jedoch das einzig Auffällige an Stanstede. Geoffrey hatte schon genug Pfeilwunden gesehen, um zu wissen, dass diese sofort tödlich gewesen war und der Pfeil vermutlich das Herz durchbohrt hatte.
Er richtete den Leichnam wieder so her, wie er ihn vorgefunden hatte, und wandte die Aufmerksamkeit dem nächsten zu. Im Gegensatz zu Stanstede, dessen Gesicht blass war, zeigte Jarveauxâ Antlitz eine tiefrote Färbung. Die halb geschlossenen Augen wirkten milchig wie bei einem toten Fisch, und seine Haut war fleckig. Geoffrey hatte noch nie zuvor den Leichnam eines Mannes gesehen, der an seinem Abendessen erstickt war, daher konnte er kaum beurteilen, ob diese hässlichen, dunkel verfärbten Gesichtszüge für eine solche Todesursache normal waren. Er zog den Dolch und stemmte den Mund des Goldschmieds auf, um sich den Rachenraum anzusehen. Gerade stellte er sich so hin, dass er mehr Licht für diese Aufgabe bekam, als der Hund plötzlich den Kopf hob und mit den Augen irgendeinen Winkel im finsteren Kirchenschiff fixierte.
Geoffrey unterbrach seine Untersuchungen und sah zu, wie sich dem Hund die Nackenhaare aufstellten. Er hörte und sah selbst nichts, aber irgendetwas musste das Tier bemerkt haben. Mit dem Dolch in der Hand schritt Geoffrey zügig durchs Kirchenschiff und spähte in die Schatten zu beiden Seiten, um zu erkennen, ob sich dort jemand verbarg. Aber St. Giles war eine kleine Kirche, und es wäre einem Menschen schwer gefallen, sich darin zu verstecken. Soweit Geoffrey es beurteilen konnte, war er allein.
Der Hund allerdings knurrte weiter, und Geoffrey erkannte, dass seine Aufmerksamkeit auf eines der Fenster gerichtet war. Also lief er darauf zu und riss es auf, den Dolch stichbereit erhoben für den Fall, dass jemand dahinter lauerte. Aber der Friedhof lag verlassen da, und nirgendwo konnte Geoffrey eine Bewegung ausmachen. Er schloss den Fensterladen und durchsuchte die Kirche ein weiteres Mal, bis er zu dem Schluss kam, dass der Hund etwas von drauÃen vernommen haben musste â eine Katze oder vielleicht auch nur den Wind.
Als er wieder zu den Leichen zurückkehrte, hatte der Hund bereits wieder den Kopf auf die Pfoten gebettet und blickte gelangweilt drein. Was immer ihn aufgeschreckt hatte, war offenbar wieder fort. Geoffrey nahm einen tiefen Atemzug, um wieder zur Ruhe zu kommen, und trat dann erneut neben Jarveaux. Er unterdrückte seinen Ekel, hielt den Mund des Toten auf, schob die Finger hinein und versuchte, die Kehle zu erreichen. Dort konnte er nichts ertasten, auÃer dass der Schlund angeschwollen war. Ob dies so kam, wenn jemand erstickte, oder sogar jedem Tod folgte, wusste Geoffrey nicht. Zunehmend missgestimmt nahm er eine der Kerzen und hielt sie dicht vor Jarveauxâ Mund, um hineinzuleuchten.
Fast hätte er die Kerze fallen lassen, als ihr flackernder Schein etwas sichtbar machte: Der Rachenraum war übersät von kleinen geröteten Pusteln. Geoffrey starrte darauf und fragte sich, ob der Goldschmied womöglich zu jenen Menschen gehörte, die ungewohnt heftig auf gewisse Speisen reagierten, und Schalentiere lieber hätte meiden sollen. Aber Alice hatte erzählt, dass er Austern gemocht und häufig welche gegessen hatte. Wenn er ihnen regelmäÃig zugesprochen hatte, konnte er wohl kaum eine Unverträglichkeit dagegen gehabt haben. Sie hätten ihn nicht vergiften dürfen.
Verwirrt betrachtete Geoffrey die Hände des Toten. Auch auf den Fingern waren Blasen, und drei Nägel waren abgebrochen. Geoffrey wandte seine Aufmerksamkeit dem Hals zu, der von Kratzern übersät war, die der Sterbende sich zugefügt hatte.
Geoffrey stellte die Kerze zurück und richtete das Leichentuch, damit niemand bemerkte, was er getan hatte. Fragen und MutmaÃungen jagten ihm durch den Kopf, und mehr denn je wünschte er, er wäre gar nicht erst in den Norden gekommen. Neben einem besonders lose sitzenden Fensterladen fand er einen Haufen Schnee und wusch sich die Hände darin, um den Geruch aus dem Mund des Toten loszuwerden. Dann kehrte er an den Stützpfeiler zurück, setzte sich und schlug den Mantel um den Leib, auch
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