Das Gold des Columbus
vollständigen Heuerlisten: Auf den vier Schiffen taten 55 Schiffsjungen, 42 Vollmatrosen, fünf Soldaten, zwei Küfer, zwei Kalfaterer und zwei Zimmermänner Dienst. Dazu kamen zehn Escuderos, ein Arzt, ein Kaplan, ein Schreiber, die vier Kapitäne, die vier Piloten, der Admiral, sein Bruder Bartolomé Colón und eine nicht näher bestimmte Anzahl von Dienern, insgesamt ungefähr 140 Männer.
Die Reise zu den Kanaren hatte nur vier Tage gedauert, aber jetzt lagen sie bei völliger Windstille vor Las Palmas fest. Fernan war insgeheim froh, dass er dadurch Zeit fand, besser schwimmen zu lernen und sich von seiner Seekrankheit zu erholen. Die anderen hatten ihn gewarnt, dass der Mal de mar jeden Neuling erwischen würde und manchmal sogar alte Seebären - aber die Wirklichkeit hatte all seine Befürchtungen übertroffen. Einen Tag und eine Nacht lang hatte er sich gefühlt, als ob er sterben müsste, und den nächsten Tag und die nächste Nacht hatte er sich nur noch gewünscht, doch endlich tot zu sein. Dass es Esteban und Anton genauso schlecht ging, war nur ein schwacher Trost gewesen. Das Schlimmste war, dass der Dienst weiterging, egal wie hundeelend man sich fühlte. Wenn ihre vier Stunden vorbei waren, krochen die drei Jungen in ihren Rancho und lagen da wie nasse Säcke. Pablo, der den hohen Seegang gar nicht zu spüren schien, zwang sie, Vizcocho 41 zu kauen und Wasser zu trinken.
»Dann habt ihr wenigstens was, das ihr auskotzen könnt. Sonst spuckt ihr nur grüne Galle, das ist noch scheußlicher.«
Am dritten Tag ließ der Brechreiz nach, die Kopfschmerzen wurden schwächer, der Schwindel legte sich. Als die Schiffe in Las Palmas vor Anker gingen, fühlte Fernan sich wie ein erfahrener Grumete. Noch nie in seinem Leben hatte er so viel gelernt wie in den letzten Wochen - zumindest kam es ihm so vor. Er konnte Fockmast von Großmast und Besanmast unterscheiden, er wusste, was ein Marssegel, ein Latein- oder Besansegel und ein Focksegel waren und dass das kleine Segel am Bugspriet Blinde hieß und das Seilgitter bis zum Ausguck Wanten. Er hatte sogar gelernt, diese Wanten hochzuklettern und im Mastkorb zu sitzen, ohne dass ihm schwindelig wurde. Er wusste auch, dass alle Taue und Seile verschiedene Namen hatten, je nachdem, zu welcher Aufgabe sie benutzt wurden, aber die konnte er noch nicht auseinander halten.
Er kannte aber die wichtigsten Aufgaben eines Grumete: tägliches Deckschrubben, Kochen des Mittagessens auf dem großen offenen Herd auf dem Oberdeck, halbstündiges Drehen der Sanduhr, Verkünden des Schichtendes nach vier Stunden durch Singen eines Psalms und natürlich die Arbeit an den Segeln, sofern nicht kräftige Männer dazu gebraucht wurden.
Zum ersten Mal im Leben lief Fernan barfuß und bekam Hornhaut an den Füßen, denn ohne Schuhe rutschte man nicht so leicht aus und konnte sich besser an den Wanten festkrallen. Die blutigen Blasen an seinen Händen von den rauen Seilen waren fast abgeheilt, obwohl er sich immer wieder neue holte: mal an den heißen Töpfen auf dem Herd, mal an den schweren Rudern der Beiboote, mal an den steifen Segeln. Er hatte sich daran gewöhnt, auf den nackten Brettern des Decks zu schlafen - mit seinem Bündel als Kopfkissen und seinem Mantel als Decke. Und jetzt konnte er sogar schwimmen!
»Hör auf zu maulen, Esteban.« Sein Vater wies auf den Wimpel am Hauptmast. »Hast du denn keine Augen im Kopf? Der Wind hat sich gedreht.«
Alle schauten zu der kleinen Fahne mit den Löwen von Leon und den Türmen von Kastilien empor.
»Nein, er springt wieder um.«
»Er muss stetiger werden. Und er ist noch zu schwach.«
»Noch - aber nicht mehr lange. Glaubt einem alten Seemann: Der Wind frischt auf. Ich spür’s in meinen Knochen. Ich gehe jede Wette ein, dass ab sofort jeder Landgang verboten ist. Und dass wir morgen früh auslaufen.« Der Matrose Concho wollte immer wetten.
»Wer weiß, wozu es gut ist, dass wir erst später fahren. Als Seemann muss man immer das Beste aus seiner Lage machen. Wie damals der Admiral nach dem Kentern der Santa María.« Der Zimmermann Carlos Alonso hatte sich bequem im Rancho ausgestreckt und den Kopf auf seinen Seesack gelegt. »Das müsst ihr euch vorstellen: Eine ganze Mannschaft ohne Schiff, denn die Niña war zu klein für alle Männer. Jeder andere wäre verzweifelt. Aber er nicht. Er hat es als Fingerzeig Gottes betrachtet, dass wir ausgerechnet an diesem Ort eine Niederlassung gründen mussten - mit Eingeborenen, die
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