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Das Gold des Columbus

Das Gold des Columbus

Titel: Das Gold des Columbus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa-Maria Zimmermann
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rote Glut an der Spitze leuchtete auf. Fernan hustete ärgerlich. Er konnte den Rauch nicht ausstehen und fand die Angewohnheit, Blätter zu kauen oder zu rauchen, widerlich.
    »Aber vielleicht ist es doch kein Traum«, fuhr der Kapitän fort. »Ich habe heute lange mit dem König geredet. Er hat mir erklärt, wie seine Leute leben. Sie geben sich mit wenig zufrieden und haben keine Freude an überflüssigen Dingen. Und sie würden alles als überflüssig betrachten, wofür wir uns abrackern und wofür wir sogar gegen Gesetze verstoßen, ohne je zufrieden zu sein. Auf uns trifft das Sprichwort zu: Je mehr er hat, je mehr er will . Denn niemand hat je genug. Die Leute hier kennen keine Kunst und kein Handwerk, aber auch keinen Betrug und vor allem kein Geld, das bei uns so viel Unheil stiftet. Sie sind einfach und unschuldig, sie leben ohne Gesetze, ohne Richter, ohne Drang, für die Zukunft zu sorgen. Sie kennen kein Mein und Dein und begnügen sich mit so wenig, dass jeder genug hat und niemand Mangel leidet.« Wieder glühte die Spitze der Blattrolle. »Wir sind tatsächlich im Paradies, Pablo! Begreifst du das?«
    »Paradies?« Auch Fernans Stimme klang jetzt scharf. Er ärgerte sich, dass der Kapitän nur mit Pablo sprach. »Aber diese Menschen sind Wilde. Sie haben keine Religion.«
    »Die hatten Adam und Eva auch nicht«, erwiderte der Kapitän ruhig.
    Fernan schnappte hörbar nach Luft. Pablo ruckte unbehaglich hin und her. Ob man so etwas überhaupt denken durfte? Ein Leben ohne Religion? Er stellte sich den Kaplan von Santa Catalina vor. Ob der diese Gedanken nicht als ketzerisch bezeichnen würde? Am Ende war es gefährlich, sie auszusprechen?
    »Nimm mich nicht so ernst, Fernan.« Kapitän Méndez lachte auf einmal. »Wahrscheinlich sind mir der Stolz über meinen Königsnamen und der Rauch von diesem sonderbaren Kraut und die Freude über meine erfolgreichen Verhandlungen ein bisschen zu Kopf gestiegen. Lasst uns jetzt schlafen. Wir haben eine anstrengende Zeit hinter uns. Die nächsten Tage werden wir uns einmal richtig erholen.«
    Auf dem Blätterdach begann ein leises Trommeln. Das sanfte Geräusch des Regens schläferte Pablo ein. Warum führt man eigentlich die Hängematten nicht auf Schiffen ein?, dachte er noch. Dann müssten wir uns nicht auf dem Deck in Wasser und Gischt zusammenrollen, sondern könnten sie im Ruderraum ausspannen, in mehreren Lagen übereinander. Da lägen wir dann zwar so eng wie die Heringe im Fass, aber wenigstens warm und trocken.
    Pablo wurde im Morgengrauen wach und kletterte leise aus seiner Hängematte. Der Kapitän und Fernan schliefen noch. Er schlüpfte aus der Hütte und sah sich um. Sie stand am Rand des Dorfes, hinter ihr begann der Wald. Alle Blätter glänzten grün und frisch gewaschen, Regen- und Tautropfen funkelten. Ein schmaler Pfad führte unter die Bäume. Pablo folgte ihm zögernd.
    Sie hatten bisher weder Schlangen noch wilde Tiere gesehen, und soweit sie die Indianer verstanden hatten, gab es sie auch nicht, aber er zog trotzdem sein Messer. Ein Krächzen ließ ihn hochblicken. Dicht über seinem Kopf schaukelte ein taubengrauer Papagei mit leuchtend roten Schwanzfedern in einer Lianenschlinge. Ein zweiter derselben Sorte flog einige Meter voraus und krächzte auch, als ob er seinen Gefährten locken würde. Sie klangen anders als Loro. Pablo legte den Kopf schief und lauschte.
    »Krah, knirp, krah.«
    Er prägte sich die Töne ein. »Krah, knirp, krah«, machte er leise.
    Die Papageien verstummten.
    »Krah, knirp, krah«, wiederholte Pablo lauter.
    Der erste Papagei verließ seine Lianenschlinge und segelte auf Pablos rechte Schulter. Nach einigem Zögern kam auch der zweite und ließ sich auf der linken nieder. Dort gackerten und gurgelten sie vor sich hin, als ob sie dem Jungen eine Geschichte erzählen wollten. Wenn Pablo sie nachahmte, schrien sie erneut ihr Krah, knirp, krah und kollerten dann weiter. Er spürte ihre Krallen durch den Stoff seiner Jacke. Auf einmal erfüllte ihn das gleiche Glücksgefühl wie damals, als er Loro nach Hause getragen hatte. An jenem Tag hatte alles angefangen. Ob das wohl ein Vorzeichen sein sollte?
    Er ging unter den tropfenden Bäumen dahin, der weiche Boden federte unter seinen Füßen, ein starker Duft von fremden Blumen erfüllte die Luft, noch süßer als Rosen und Nelken und Jasmin. Ich könnte eine Leiche sein, dachte Pablo, gefangen in einem Wrack am Grunde des Meeres oder treibend mit der Flut und

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