Das Gold von Karthago
vorderen Terrasse verschwand, zur Straße. »Er wird zur Festung gehen und entweder Hamilkar oder einen von Hamilkars engsten Vertrauten wecken, um festzustellen, ob er mir trauen kann.«
»Und? Kann er dir trauen?«
Bomilkar breitete die Arme aus. »Wenn alles sich so verhält, wie ich annehme, dann kann er mir trauen.«
Sie nickte. »Er ist mißtrauisch, aber dafür gibt es Gründe.«
»Gründe, die wohl mit diesem Ort zusammenhängen.«
»Wie meinst du das?«
»Mitten in der Hauptstadt des iberischen Silbers wird niemand ein teures Gasthaus betreiben können, ohne Billigung von ganz oben zu haben. Hamilkars Vertrauen
ist eine seltene Münze; man muß sie über lange Zeit erwerben. «
»Das stimmt. Ich weiß aber nicht, ob Vater sie besitzt.«
»Du bist vorsichtig.« Er lachte. »Bis er mehr weiß, nicht wahr? Erzähl mir von dir; und von der Stadt.«
Während sie sprach, betrachtete er das bewegliche Gesicht, die schnell wechselnden Ausdrücke. Rushan mochte zwanzig Jahre alt sein, aber die dunklen Augen wirkten älter. Die Gesamtheit der Züge mit schmaler Nase, vollen Lippen und hohen Wangenknochen kam ihm vor wie eine Maske, unter der andere Masken steckten. Und vermutlich war das, was sie erzählte (wilde Begebenheiten mit größtenteils blutrünstigen und wahnsinnigen Darstellern, ausnahmslos Gäste der Schänke), eine weitere phantastische Maske; irgendwo weit unten oder weit hinten beobachtete die wirkliche Rushan ihn.
Er trank mäßig, lauschte, bewunderte die Frau, ihr schlichtes langärmeliges Gewand und ihre Geschichte, die erfunden oder wahr sein mochte, aber auf jeden Fall fein erzählt war.
Als Kleomenes zurückkehrte, standen die letzten Gäste auf, um sich zurückzuziehen. Der Wirt grunzte etwas: offenbar eine Aufforderung an das Mädchen, das noch immer am Schanktisch herumräumte, endlich aufzuhören und zu Bett zu gehen. Sie verschwand, leise trällernd. Kleomenes stand einen Atemzug lang herum, wie unschlüssig, dann begann er, die übrigen Fackeln zu löschen, indem er sie aus den Eisenfäusten nahm und nacheinander in einen Eimer tauchte. Über die Schulter sagte er:
»Kind, es ist gut. Sprich du mit ihm. Wir reden morgen weiter, Bomilkar.«
Rushan stand auf. »Komm; ich zeig dir den Weg, damit du dich nicht verirrst.« Mit dem rechten Arm streifte sie den Tisch; dann hob sie die Schultern. »Abräumen kann ich morgen früh.«
Bomilkar betrachtete die Näpfe, Becher, Krüge und Messer und lächelte. Sie ging zur letzten Fackel, nahm einen langen Span aus einem Korb an der Wand und zündete ihn an. Er folgte ihr durch dunkle Gänge und eine unbeleuchtete Treppe hinauf.
»Lichtmangel ist ein Jammer«, sagte er; »mir entgeht die Anmut deiner Bewegungen. Dies kleine Spänchen genügt nicht.«
»Vielleicht gibt es einen größeren Span, für andere anmutige Bewegungen.« Sie kicherte leise. »Ich wollte mir ein wenig Silber verdienen – wenn du nicht zu erschöpft bist.«
»Gewisse Aussichten vertreiben jede Erschöpfung.«
Sie öffnete die Tür zu seinem Raum. Mit dem Span entzündete sie das kleine Öllicht auf dem Tisch; dann wandte sie sich Bomilkar zu, mit einem seltsamen Lächeln, zupfte an einem Band und schüttelte sich. Das Gewand floß von ihrem Körper.
»Ich«, sagte Bomilkar, »sollte mich wohl reinigen. Die lange Reise …«
»Nur da, wo es sein muß. Die Zeit ist zum Genuß, nicht zur Vergeudung geschaffen.«
Er zog sich aus, dachte an das schnelle Bad im Fluß, morgens, und goß aus dem Krug ein wenig Wasser in die Schüssel. Während er das widerständige Gemächt wusch, hörte er, wie Rushan sich auf dem festen Bettgestell niederließ und die Decken verteilte. Als er fertig war, nestelte er kurz am Gürtel, der zu seinen Füßen lag; dann ging er zu ihr.
Sie hatte die Hände unterm Nacken verschränkt und sah ihm entgegen. Es verblüffte ihn ein wenig, daß ihr Gesicht keine Überraschung zeigte, als er das Messer, das er hinter dem Rücken verborgen hatte, an ihre Kehle setzte.
»Was für ein Spiel wird das?« sagte er leise. »Du bist alle Köstlichkeit der Nacht, aber auf dem Tisch, unten, fehlte plötzlich das kleine Giftgefäß.«
Sie regte sich nicht. »Leg das Messer weg; dann reden wir.«
»Deine Hände.«
Sie löste die Verschränkung und zeigte ihm leere Handflächen. »Zufrieden?«
Bomilkar legte das Messer auf den Tisch, wo er es schnell erreichen konnte. »Du bist entweder nicht seine Tochter oder aber keine Ibererin«, sagte er dabei.
Weitere Kostenlose Bücher