Das Gold von Sparta
erste Bootsladung Touristen des Tages. Sie mischten sich einfach unter die Leute, spazierten für ein paar Stunden herum und achteten vor allem auf mögliche Gespräche über eine Schießerei am Vortrag. Oder darüber, dass im See eine Leiche gefunden worden war. Sie hörten jedoch nichts dergleichen und kehrten gegen Mittag per Boot nach Schönau zurück.
Sobald sie dort an Land gegangen waren, entschieden sie, ihrem Gefühl der Paranoia nachzugeben und nicht ins Hotel zurückzukehren. Auch auf die Benutzung ihres Mietwagens verzichteten sie. Wachsam nach Cholkow und seinen Männern Ausschau haltend betraten sie den nächsten Souvenirladen und verließen ihn sofort wieder durch den Hinterausgang. Sie mieden den Bootshafen und spazierten zwanzig Minuten lang durch Schönau hindurch, bis sie in einer abgelegenen Nebenstraße ein Café fanden, von dem aus sie Selma anriefen.
Gegen zwei Uhr stoppte der Mercedes eines Salzburger Limousinen-Services vor dem Café – und drei Stunden später, nach einer Fahrt durch die idyllische Gebirgslandschaft, in deren Verlauf Remi und Sam auf Anzeichen einer möglichen Verfolgung achteten, checkten sie im Hotel unter den Namen Hank und Liz Truman ein.
Aufgewärmt durch den Brandy schickten sie zuerst Selma per E-Mail die fotografierten Symbole von der in Sankt Bartholomä gefundenen Flasche, dann riefen sie Evelyn Torres in ihrem privaten Domizil an.
»Woher denn das plötzliche Interesse für Xerxes und Delphi?«, fragte Evelyn nach kurzem Smalltalk bei eingeschalteter Freisprecheinrichtung.
»Es hängt mit einem Projekt zusammen, an dem wir zurzeit arbeiten«, erwiderte Remi. »Die Einzelheiten erfährst du, wenn wir wieder nach Hause kommen.«
»Na ja, um eure Fragen nacheinander zu beantworten: Zur Zeit von Xerxes’ Invasion war Delphi unbestritten der heiligste Ort in Griechenland. Für alles holte man sich die Prophezeiungen der Pythia, seien es nun Staatsangelegenheiten, Ehefragen oder was sonst noch alles. Was die Schatzhäuser betrifft, so gab es eigentlich keinen ausgesprochenen Reichtum – da waren zwar ein paar Schatzhäuser, aber nichts, was sich mit dem Wohlstand Athens hätte vergleichen lassen. Einige Gelehrte widersprechen dem allerdings schon, doch ich glaube, Xerxes hatte keine Ahnung von der Bedeutung Delphis für die griechische Kultur. Aus den wenigen mündlichen Überlieferungen, die erhalten geblieben sind, geht meiner Meinung nach hervor, dass er das Orakel als eine Art antikes Ouija-Brett betrachtete. Er war davon überzeugt, dass die Griechen in Delphi irgendetwas versteckten.«
»Und traf das zu?«
»Es gab schon immer Gerüchte, aber es gibt keinen soliden Beweis, der sie stützen würde. Außerdem kennst du ja den Verlauf der Geschichte. Xerxes’ Stoßtrupp wurde von der göttlichen Hand Apollos abgewehrt – in Gestalt eines zeitlich perfekt abgestimmten Erdrutsches. Ein paar Perser kamen durch und konnten mit einigen zeremoniellen Gegenständen fliehen, aber eigentlich war nichts Wichtiges dabei.«
»Hat denn überhaupt irgendetwas von Wert die Invasion überdauert?«
»Die Ruinen sind natürlich noch vorhanden. Einige Säulen der Schatzhäuser stehen im Delphi-Museum, wie auch verschiedene Altarteile, Steinfriese und der Omphalos … aber kein Gold und keine Juwelen, wenn du danach fragst.«
»Kannst du dich erinnern, dass in Delphi jemand herumgeschnüffelt hat, während du dort warst?«, fragte Remi. »Oder ob irgendetwas ungewöhnlich war?«
»Nein, eigentlich nicht. Es gab nur die üblichen Ausgrabungsanträge und Suchanfragen.« Evelyn hielt für einen Moment inne. »Warte mal eine Sekunde. Da war vor einem Jahr so ein Typ … er kam von der Universität Edinburgh – aus der Abteilung Geschichte, Altertum und Archäologie, glaube ich. Ein eher unheimlicher Zeitgenosse.«
»Warum?«
»Er wollte die Erlaubnis haben, die Delphi-Artefakte zu untersuchen, und wir erteilten sie. Es gibt aber gewisse Regeln für solche praktischen Untersuchungen – was man mit den Objekten tun darf und was nicht. Ich ertappte ihn dabei, wie er eine der wichtigsten Regeln brach – oder, das heißt, sie beinahe brach. Ich kam gerade dazu, als er im Begriff war, an einer der Säulen einen Säuretest vorzunehmen.«
»An welchen Säulen?«, fragte Remi.
»An den Karyatiden. Sie standen am Eingang zum Schatzhaus der Siphnier in Delphi.« Ehe Remi oder Sam die nächste Frage stellen konnten, beantwortete Emily sie bereits. »Eine Karyatide ist eine
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