Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
»Und
dann die Beilagen: Knödel, Rotkohl, die reinste Barbarei. Selbstverständlich
kommt nur Grünkohl in Frage. Grünkohl, über den die ersten Herbstfröste gekommen
sind, mit Schweineschmalz, glasig schwitzen, pfeffern, salzen, eine rohe
geriebene Kartoffel hinein, Himmel, da könnte ich mich reinsetzen.«
»Tun Sie’s doch, tun Sie’s
doch.« Hügeli steht auf, wird immer größer, ein Koloß von einem Mann.
»Grünkohl«, sagt er, schüttelt traurig mit dem Kopf und bedeckt das Gesicht mit
beiden Händen. »Grünkohl ist eine Tragödie. Wo doch nur Weinkraut möglich ist.
Weinkraut angemacht mit Champagner, kein Sekt wohlgemerkt, auch kein Mosel, ein
paar Lorbeerblätter, vier, fünf Wacholderbeerchen, ein geraspelter süßer
Apfel.« Er wird ganz andächtig. Er muß an Mulle denken. Mulle war Spitze, was
Weinkraut betraf. Sie machte es nicht an, sie komponierte es. Mein Gott, die
liebe, gute Mulle, wie oft haben wir zusammen geschmurgelt, gebrutzelt,
gesotten und gebraten. »Weinkraut«, sagt er noch einmal, und es klingt
endgültig, »Weinkraut ä la Mulle. Und dazu Salzkartoffeln. Nur so ist eine Gans
denkbar.«
An diesem Abend geschieht
etwas, was auf Luxusschiffen vom Stil der TS »Aphrodite« selten geschieht: Es
wird eingebrochen.
Der 2. Koch findet, als er
gegen fünf Uhr früh die Küche betritt, die Tür des Fleischraums weit geöffnet.
Der Bestand der für die Besatzung bestimmten polnischen Hafermastgänse weist
eine Lücke auf. Es fehlen ferner (laut Protokoll einer eilig zusammengestellten
Untersuchungskommission): »½ kg Hackfleisch, 2 Brötchen, mehrere Äpfel, 1
Büchse Trüffel, 1 Büchse französisches Weinkraut.« Und die Backröhre des
Elektroherds war noch warm...
Ein
Plättbrett mit zwei Rosinen,
drei
Sellerie-Cocktails und ein Jungfernkuß.
»Es ist«, sagt der
Schiffsdoktor, und starrt zum x-ten Mal auf das Brötchen und auf die halbe
Flasche Wein, »es ist exorbitant. In der Tat.«
»Das wissen wir jetzt, lieber
Herr Doktor«, sagt Trixi geduldig.
»Viel mehr würde mich
interessieren, was drin ist.«
»Das ist ja das Exorbitante.«
Der Doktor nimmt einen DIN-A4-Bogen, der von einem als Briefbeschwerer
dienenden Plätteisen niedergehalten wurde. Das Plätteisen (frühes 19.
Jahrhundert) wirkt anachronistisch in dem supermodern eingerichteten
Schiffshospital. Nickel blitzt, der Verbandsstoffeimer hat Stromlinienform, die
Röntgenapparatur wirkt wie ein Atommeiler, der Medikamentenschrank läßt sich
auf Knopfdruck öffnen, zwischen Sehprobetafeln und Instrumententisch hängt ein
Aquarium mit feuerroten Schleierfischen. Die Bullaugen ringsum erwecken den
Eindruck einer Weltraumstation.
»Und was, bitte, ist das
Exorbitante?« Trixi dreht sich auf ihrem Drehstuhl und wartet auf Antwort.
»Radix gentiana, Rhizoma
Calami, ja natürlich und Akorin. Bitterstoffe in nicht geringen Dosen.« Der
DIN-A4-Bogen enthält die Analyse seiner Laborantin. »Und Bitterstoffe, meine
Liebe, galten schon bei den Alten als Appetitspeitscher. Versuche mit weißen
Mäusen haben ergeben, daß die mit Bittermitteln gefütterten Tiere doppelt so
schnell Zunahmen wie die nicht mit...«
»Ich bin keine weiße Maus, Herr
Doktor.«
Der Doktor überzeugte sich
durch einen raschen Blick vom Wahrheitsgehalt dieser Behauptung. »Trotzdem ist
die Wirkung auf einen menschlichen Organismus ähnlich. Will sagen erhöhte
Produktion von Magensaft gleich verstärkter Appetit.« Er macht das
geheimnisumwitterte Gesicht eines Weiß-Kittel-Mannes und spielt mit dem
trocknen Brötchen. »Wie aber kamen sie hier hinein, wie wohl?«
»Deswegen bin ich bei Ihnen,
Herr Doktor.«
Er nimmt das Brötchen und die
Flasche Wein und schiebt sie wie auf einem Schachbrett hin und her.
»Konstatieren wir einmal, jemand hat die Bitterstoffe in Ihre Diät gemischt. In
Form von Tinkturen und Extrakten wäre derartiges denkbar. Daraus folgert:
Jemand hat ein Interesse daran, Sie, liebes gnädiges Fräulein, zu mästen.
(Verzeihen Sie den harten Ausdruck.) Wer aber kann ein solch perverses
Interesse haben, wer, bitte schön? Ein Verrückter?«
»Oder jemand, der sich einen
Scherz mit mir erlaubt?« Sie schaut den Doktor zaghaft hoffend an.
»Schlechte Scherze.« Er wischt
den Einwand mit einer Handbewegung beiseite und schlägt mit der flachen Hand
auf den DIN-A4-Bogen. »Andrerseits, hier ist die Analyse, sie ist hieb- und
stichfest, weist Stoffe nach, die für Backwaren und Moselweine ungewöhnlich
sind
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