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Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Titel: Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. Fischer-Fabian
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leere Stelle im Ausweis so schnell bemerkt werden würde.
Und wenn, mußte nicht gerade er es gewesen sein. Die Akten lagen seit über
dreißig Jahren dort. Auf der Rückseite des Fotos fand erden eingedruckten
Firmennamen: Jacques Saint-Jean. Nice en France. Photographie originale.
    Philipp trat hinaus in die Glut
des Nachmittags. Er ging wie betäubt die Hauptstraße entlang. Der Verkehrslärm
umbrauste ihn. Er merkte nichts davon. Er hatte das Gefühl, als sei er seinem
Vater leibhaftig begegnet. Wer konnte ein Interesse daran haben, die
Heidelberger Adresse Marcel de Grandlieus unkenntlich zu machen? Die Familie
Grandlieu? Grandlieu selbst?
    In diesem Augenblick sah er
Mabel. Sie stand vor einem Andenkenladen. Er legte ihr die Hand auf die
Schulter. »Noch böse?« fragte er mit seinem besten Lächeln.
    »Sie Blaubart«, sagte Mabel und
schmollte. Aber nicht sehr.
    »Sagen Sie, Mabel-Darling,
kommt ihr auf eurem ›See-Europa-Trip‹ auch nach Nizza?«
    »Nizza sehen und sterben«,
sagte sie und kicherte.
    »Dann möchte ich euer
liebenswürdiges Angebot noch nachträglich annehmen.« Er warf sich in Positur.
»Philipp P. Engel wird die Gruppe sicher nach Nizza geleiten. Okay?«
    Er war plötzlich glänzender
Laune. Er hakte sich bei Mabel ein, und sie flanierten die Hauptstraße entlang.
     
    Philipp Engel sehnte sich nach
einem Bett. Nach einem Bett, in dem er ganz allein liegen konnte.
Ausnahmsweise. Die Fahrt von Heidelberg durch die Schweiz und Frankreich war
eine Tortur gewesen. Woran der enge Bus genauso schuld war wie zwölf pausenlos
redende Lehrerinnen. Außerdem hatte es wieder Ärger mit Mabel gegeben. Bei der
Übernachtung in Genf war sie ihm auf die Bude gerückt.
    Er war zu müde gewesen, sie
hinauszuwerfen. Er war aber auch sonst zu müde gewesen. Und sanft neben ihr
eingeschlafen. Sie hatte ihn eine »Niete« genannt, und jetzt saß sie neben dem
Fahrer und war schlecht gelaunt.
    In Nizza hielten sie vor dem
»Negresco«. Unter dem »Negresco« machten es Amerikanerinnen nicht. Das
»Negresco« war eine Luxusherberge aus der Belle Epoque, Frankreichs guter alter
Zeit. Hier hatte Richard Wagner gewohnt und Alexandre Dumas, die Mistinguette
und Lloyd George, Verdi, der Zar, Willem zwo aus Deutschland, gekrönte Häupter
und entthronte, uralte Aristokratie, Börsenjobber, Kardinäle, Kriegsgewinnler.
Auch in den Kreisen der internationalen Hotelmarder-Elite hatte sich das Hotel
stets eines guten Rufes erfreut.
    Von außen sah das »Negresco«
aus wie in Schmalz gehauen. Von innen wie ein Krematorium. Manchmal hatte man
den Eindruck, daß die steinalten Herrschaften, die in der Halle zu sitzen
pflegten, bereits tot waren, es bloß noch nicht gemerkt hatten.
    Das Personal trug Tracht. Der
Portier sah aus wie ein Admiral, die Hausdiener wie Landsknechte, die
Stubenmädchen schienen einer Operette entlaufen zu sein, selbst der
Fahrstuhlführer trug etwas, nämlich einen Dreispitz.
    Philipp verteilte seine Mädchen
sorgfältig auf die einzelnen Zimmer. Was jedesmal mit enormen Geschrei
verbunden war. Dann verkrümelte er sich an die Bar und trank eine Bloody Mary,
die seine Müdigkeit mit einem Schlag verscheuchte. Er ließ sich von der Drehtür
auf die Straße drehen und bummelte die Promenade des Anglais entlang. Ihre
Palmen standen schwarz-grün gegen einen dunklen Himmel. Er roch nach Regen. In
den Gärten flammte das Rot des Oleanders. Er wandte sich in Richtung Altstadt. An
der Place Rosetti verschwand er in einer so malerischen wie verwahrlosten
Gasse. J. Saint-Jean, Photographe, stand auf einem verrosteten Schild.
    »Was wünschen Sie, Monsieur?«
Der Fotograf trug einen Spitzbart, was ihm das Aussehen eines Ziegenbockes gab.
Er wartete die Antwort auf seine Frage nicht ab und meckerte: »Ich fotografiere
nicht mehr, schon lange nicht mehr.«
    Er wollte die Tür ins Schloß
drücken, doch Philipp hatte nach alter Vertretermanier bereits den Fuß
dazwischen. »Aber Auskünfte werden Sie doch noch geben?« Er entnahm seiner
Brieftasche eine Fünfzigfrancsnote, faltete sie und schnupperte daran.
    »Kommen Sie ‘rein«, brummte der
Alte und ließ den Fünfziger blitzschnell verschwinden.
    Der Raum lag im diffusen Licht verstaubter
Butzenscheiben. Gipsbüsten, Säulen aus Pappe, ein Sofa, aus dem eine
Sprungfeder wie anklagend herausragte, im Hintergrund eine Kulisse, den
Rheinfall von Schaffhausen darstellend. Philipps Blick blieb an den Wänden
hängen; er stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
    Die

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