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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sah keine andere Möglichkeit, er ließ Ut auf den Boden gleiten und lehnte sie an die Flurwand. Ihr Oberkörper fiel nach vorn, der Kopf lag auf den Knien – ein kleiner Klumpen Mensch.
    Thuy lag auf dem Bett und schlief. Ein seliges Lächeln füllte alle Falten seines Gesichtes aus, der Körper war entkrampft, die Hände lagen gefaltet auf dem eingefallenen Bauch, nur der offene Mund mit den gelben Zähnen paßte nicht zu dem Frieden, der über ihn gekommen war.
    Erst als Xuong näher an Thuy herankam, begriff er, was geschehen war. Er preßte die Lippen zusammen, starrte auf den Toten und hörte wieder Uts Stimme: Ich habe es getan. Ich habe es getan. Ich konnte ihm nicht mehr helfen.
    Xuong schüttelte sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt, und verließ dann das Zimmer. Ut saß noch immer an der Wand auf dem Boden. Er trat nahe an sie heran und stieß ihr die Schuhspitze in die Hüfte.
    »Steh auf!« sagte er mit harter Stimme. »Du kannst aufstehen, wenn du willst.«
    »Ich konnte ihm nicht helfen …« Ut hob den Kopf. Ihr Kindgesicht schien in Tränen zu zerfließen. »Lehrer …«
    »Das hast du schon gesagt. Steh auf!«
    Mühsam versuchte Ut sich an der Wand hochzuschieben. Als sie auf den Beinen stand, schwankte sie wieder. Xuong drückte sie mit den flachen Händen gegen die Wand.
    »Wie hast du ihn getötet?« fragte er. Ut erkannte seine Stimme nicht wieder. Entsetzen sprang in ihre Augen.
    »Mit meinen Händen, Lehrer …«, stammelte sie.
    »Erwürgt hast du ihn?«
    »Nein, nein …«
    »Mit einem Kissen erstickt?«
    »Nein!«
    Ich habe mir Thuy nicht genau angesehen, dachte Xuong. Das war ein Fehler. Ich habe einfach seinen Tod hingenommen.
    »Hast du ihn erstochen?« fragte er und preßte das Wort aus sich heraus.
    »Nein, Lehrer, nein …«
    »Ich habe auch keinen Schuß gehört …«
    »Mit den Händen … mit den Händen …« Uts Kopf fiel kraftlos auf ihre Brust. Mit beiden Händen stemmte Xuong sie gegen die Wand. Was kann man mit den Händen noch anderes machen als Würgen und Ersticken, dachte er. Wie kann eine Hand noch eine Waffe sein?
    »Du hast ihn mit einem Handkantenschlag getötet?« Das war die Lösung.
    »Nein … nein …«
    Xuong wußte nicht mehr weiter. Auch erschlagen hat sie Thuy nicht. Thuys Kopf war unverletzt, das hatte er genau gesehen. Er lag da mit einem Lächeln, das auch der offene Mund nicht verscheuchen konnte, und alles an ihm drückte Erlösung aus.
    »Wie?!« fragte Xuong hart. Er schüttelte Ut, schlug ihren schmalen Körper immer wieder gegen die Wand, Arme und Kopf pendelten hin und her wie bei einer Puppe, der man die Glieder ausgerissen hat. »Wie?!«
    Ut hob den Kopf und sah Xuong durch einen Schleier von Tränen an.
    »Ich habe meine Hände um seinen Kopf gelegt …« Ihre Stimme glitt zu einem Wimmern ab. »Meine flachen Hände an seine Schläfen …«
    »Und …« Xuong war es, als würge man ihm den Atem ab.
    »Dann habe ich gesagt: ›Stirb, Thuy, stirb! Gott, hilf mir, daß er stirbt!‹«
    »Und dann?«
    »Ich habe gespürt, wie etwas in Thuy hineinfloß, meine Hände wurden ganz heiß, überall in meinem Körper war ein Ziehen und Zerren, ich habe nichts mehr gesehen. Wie eine Wolke stand es vor meinen Augen, und ich habe die Hände fest gegen Thuys Schläfen gepreßt, ganz fest. Und habe immer gesagt: Stirb, Thuy, stirb! Und dann waren die Wolken weg, meine Hände wurden kalt wie im Winter, mein Körper war leer wie ein hohler Kürbis, und Thuy war tot.«
    »Er war tot.« Xuong wiederholte es, um das Ungeheure zu verstehen, das Ut erzählt hatte. »Du … du kannst mit deinen Händen nicht nur heilen, du kannst auch töten?! Ist es so?«
    »Ja, Lehrer. Ich … ich habe das bis heute nicht gewußt.«
    »Es wird dir auch niemand glauben, Ut.« Xuong wischte sich über das Gesicht. Es war bedeckt mit kaltem Schweiß. »Erzähl es keinem, auch nicht den Ärzten. Keinem, Ut! Es bleibt ein Geheimnis zwischen dir und mir. Wenn es bekannt wird, wirst du nie mehr ein normales Leben haben. Die Wissenschaftler in aller Welt werden dich quälen mit Computern und Untersuchungen, Experimenten und elektronischen Apparaten.«
    »Was soll ich den Ärzten sagen, Lehrer?«
    »Ich werde es dir erklären.« Xuong trat einen Schritt zurück. »Kannst du jetzt von allein stehen?«
    »Ja.« Uts Körper straffte sich. Sie machte zwei Schritte an der Wand entlang, noch unsicher, tastend, aber sie knickte nicht mehr ein. »Siehst du, es geht.«
    Xuong nahm ihren Arm und

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