Das goldene Meer
Büchler zum Hospital.
»Wollen Sie doch noch rüberkommen, Fred?« fragte Anneliese. »Thuys Schmerzen sind nicht mehr zu ertragen. Ich habe ihm einen Lappen gegeben, in den beißt er jetzt rein und zerfetzt ihn. Aber von der Sekunde an, in der Ut neben seinem Bett Platz genommen hat, ist er ruhiger geworden. Allein ihre Gegenwart verringert den Schmerz. Es ist unglaublich.«
»Ich komme sofort.« Dr. Herbergh hängte ein. Kranzenberger trank den Rest seines Cognacs und warf dabei den Kopf in den Nacken.
»Versuchen Sie es jetzt, Fred!« sagte er. »Auf in den Kampf, verklemmter Dr. med.!«
»Wenn sich die Gelegenheit ergibt …« Dr. Herbergh versuchte einen Witz, aber er verunglückte an seinem hilflosen Gesicht. »Außerdem fehlen mir die Klopapierblumen …«
Im Hospital standen Anneliese, Julia und der schmollende Pitz im Untersuchungszimmer und warteten auf Dr. Herbergh. Im Raum hinter der verschlossenen Tür hatte Ut begonnen, Thuys von Schmerzen geschüttelten Körper zu beruhigen. Xuong hielt im Gang vor dem Krankenzimmer Wache. Er kam Dr. Herbergh entgegen, als dieser das Hospital betrat.
»Sie behandelt ihn«, sagte er so leise, als könne seine Stimme stören. »Sein lautes Stöhnen hat schon aufgehört. Es ist unheimlich still im Zimmer.«
»Ist Dr. Burgbach bei ihnen?«
»Nein. Ut hat sie alle weggeschickt. Sie muß allein sein.« Xuong hob bedauernd die Schultern. »Ich muß Sie hindern, das Zimmer zu betreten, Herr Doktor. Erst wenn Ut herauskommt, dürfen wir hinein.«
»Sagen Sie uns sofort Bescheid, Xuong.«
»Sofort, Herr Doktor.«
Herbergh wandte sich ab und ging zum Untersuchungszimmer. Annelieses Gegenwart ließ wieder die verdammte Unsicherheit in ihm aufkommen, zumal jetzt, wo er sich vorgenommen hatte, noch an diesem Abend seine Gefühle in die entscheidenden Worte zu kleiden. Er vermied es, sie voll anzusehen, und wandte sich gleich an Julia.
»Besondere Vorkommnisse?« fragte er kurz. Es war der Ton des Chefarztes. Er haßte ihn. Nie werde ich so werden wie diese Halbgötter im weißen Kittel, hatte er sich vorgenommen, schon als Student. Aber dann, er war Oberarzt im Klinikum geworden, ertappte er sich dabei, genauso zu sprechen mit den jungen Assistenten und den Studenten im klinischen Semester. Er versuchte dann, die Situation mit einem Witz aufzulockern, man lachte auch darüber, aber es war, das merkte er deutlich, ein pflichtschuldiges Lachen.
»Keine«, sagte Julia, griff nach ein paar Krankenblättern und überflog sie. »Lien mit ihrer Tbc hat wieder leichtes Fieber. Tronc hat seine neunte Infusion bekommen. Er hat seine Ausdörrung überstanden. Puls und Blutdruck stabilisieren sich.« Julia legte die Krankenblätter wieder auf den Tisch. »Aber für nächste Woche steht allerhand auf dem Programm, Chef.«
»Dann lesen Sie mal vor, Julia.«
»Drei Geburten, die Furunkeloperation, die Sie angesetzt haben, und da ist ein Pham Cong Luan, der über Gallenschmerzen klagt und schon zwei Koliken hinter sich hat. Man sollte ihn auf Station nehmen.«
»Schon geröntgt?«
»Nein …« Julia zögerte. Sie wußte, daß dieses Nein bei Dr. Herbergh sofort eine Reaktion auslösen würde.
»Warum nicht?«
»Hung hat übersetzt: Er hat Angst vor den Apparaten. Er ist noch nie geröntgt worden.«
»Um so begeisterter wird er sein, wenn wir ihm seine Gallensteinchen auf dem Foto zeigen. Morgen um zehn sehe ich ihn mir an.«
Xuong ging auf dem Flur hin und her, legte ab und zu das Ohr an die Tür, aber er hörte nichts. Im Zimmer war es geisterhaft still. Thuy schien von allen Schmerzen befreit zu sein und schlief wohl.
Plötzlich öffnete sich die Tür. Ut kam heraus, lehnte sich an den Rahmen und wäre in sich zusammengesunken, wenn Xuong sie nicht aufgefangen hätte. Sie begann zu weinen, lautlos, nur ihr Mund zuckte, und drückte ihr Gesicht an Xuongs Brust. Er mußte sie jetzt wirklich hochhalten, schlaff hing sie in seinen Armen, als habe sie keine Knochen und Muskeln mehr.
»O Lehrer … Lehrer«, stammelte sie. »Ich habe es getan … ich habe es getan …«
»Was hast du getan?« Xuong suchte Halt an der Wand. Uts schlaffer Körper war trotz ihrer Zierlichkeit schwerer, als er aussah. Er hatte Mühe, sie aufrecht zu halten.
»Es ging nicht mehr … sie war stärker als ich … stärker … ich konnte sie nicht mehr fassen, seine Krankheit …« Ut holte tief Luft und atmete mit einem Seufzer aus. »Ich konnte nicht mehr helfen … da habe ich es getan …«
Xuong
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