Das goldene Meer
geben!«
»Anneliese, wer will schon eine Frau mit drei kleinen Kindern? Was und wo kann Ut arbeiten? Wie soll man sie in diese Welt, die nur an Geschäft und Geld denkt, eingliedern? Arbeitslose haben alle Staaten selbst genug. Ut ist genau der Fall, wo jeder bei den zuständigen Behörden sagt: Da kriegen wir wieder vier Ausländer hingesetzt, die wir alle miternähren müssen. Sozialempfänger, die von unseren Steuern leben. Maden im Speck. Wir arbeiten … die fressen! So ist die Stimmung im Lande, man muß das mal klar und laut aussprechen dürfen. Menschlichkeit hin, Humanität her, wenn sich aus unseren Flüchtlingen politisches Kapital schlagen ließe, würden die Türen weit offen stehen. Aber unsere Aufgefischten sind Abfall, für den sich kein Politiker interessiert. Kennen Sie nicht die Berichte aus Köln? Hörlein kämpft nach allen Seiten, aber die Ministerien verschanzen sich hinter einer im März 1982 errichteten Sperrmauer. Sie nennen es elegant ›Verfahrensgrundsätze für die Aufnahme von Ausländern aus humanitären Gründen‹. Und was humanitär ist, bestimmt Bonn! Wir haben keine Konzession, Menschen zu fischen, sie vor dem Ertrinken und Verhungern und Verdursten zu retten, vor den Piraten zu schützen, ihren Tod – wie ihn uns Truc so eindrucksvoll vorgeführt hat – zu verhindern. Und glauben Sie wirklich, die Fotos, die Starke von der aufgeschlitzten Frau gemacht hat, hinterlassen in Bonn Wirkung? Anneliese, man weiß doch in den Ministerien genau, was hier im Südchinesischen Meer passiert! Und man schweigt!« Dr. Herbergh fuhr mit der Hand durch die Luft und wischte damit das Thema weg. Ich Idiot, dachte er dabei und war wütend auf sich. Über alles reden wir, nur nicht über das, was uns persönlich auf dem Herzen liegt. Jetzt ist sowieso alles zerredet, die Luft mit Problemen beladen, wie kann man jetzt von Liebe sprechen? »Ich könnte Ihnen einen Vorschlag machen, Anneliese«, sagte er mit der verzweifelten Anstrengung, das Gespräch doch noch herumzureißen.
»Wegen Ut und den Kindern?«
»Im weiten Sinne, ja. Ich stelle Ihnen meine Kabine zur Verfügung.«
»Und wo bleiben Sie?«
»Im Zimmer von Dr. Starke gibt es zwei Betten, übereinander.«
»Fred, das kann ich Ihnen doch nicht zumuten. Sie würden mit Wilhelm in einem Raum … aber nein!«
»Ihnen zuliebe wäre es für mich kein Opfer.«
»Aber ich nehme es nicht an, Fred.« Anneliese beugte sich zu ihm vor. Irritiert hielt er ihrem Blick stand. »Sie haben doch auch ein ausklappbares zweites Bett in Ihrer Kabine.«
»So weit wollte ich nicht gehen, es Ihnen anzubieten.« Dr. Herbergh bemühte sich vergebens, seine Verlegenheit zu verbergen, es gelang ihm nicht, seine unruhigen Hände verrieten ihn. »Das gäbe Anlaß zu ganz dummen Gerüchten.«
»Stehen wir nicht darüber, Fred? Und warum sollen diese Gerüchte dumm sein?«
»Dumm ist tatsächlich ein falsches Wort. Sagen wir: unwahr.«
»Trotzdem, Ihre Idee ist überlegenswert.« Anneliese stand auf. Sofort schnellte auch Dr. Herbergh von seinem Plastikstuhl auf. »Ich möchte mir das Bett ansehen, Fred.«
»Aber mit dem größten Vergnügen.«
Was bin ich doch für ein dämlicher Hund, dachte Dr. Herbergh. Floskeln, steifes Geschwafel, über das ich mich immer auf den Gesellschaften aufrege, anstatt sie jetzt einfach zu umarmen und zu sehen, wie sie reagiert. Bleib stehen und küß sie!
Aber wie soll ich mich verhalten, wenn sie mir eine runterhaut? Ist ihre Bereitschaft, bei mir im oberen Bett zu schlafen, ein versteckter Wink oder ist es wirklich nur die beste Notlösung ihres Schlafproblems? Fred Herbergh, du bist ein Trottel. Und das noch mit zweiundvierzig Jahren.
»Da ist es!« sagte Herbergh, als sie in seiner Kabine waren. Er klappte das Bett aus der Wand und klopfte dagegen. »Matratze und Bezüge liegen genug im Magazin. Zur Information noch: Ich schnarche nicht.«
»Woher wissen Sie das?« Anneliese lachte ihn unbefangen an, aber ihr nächster Satz brachte ihn wieder in große Verlegenheit. »Man selbst hört es doch nicht.«
»Es ist in meinem Alter zu vermuten, daß ich schon einmal nicht allein geschlafen habe«, sagte Dr. Herbergh und ärgerte sich wieder maßlos über seine geschraubte Ausdrucksweise. »Mir ist nur gesagt worden, daß ich ab und zu im Schlaf leise spreche.«
»Und was haben Sie zum Beispiel gesagt?«
»Zum Beispiel: Liebling.«
»Das hört sich gut an.« Anneliese blickte auf die Uhr, die auf Herberghs Nachttisch
Weitere Kostenlose Bücher