Das goldene Meer
Chef.«
»Wieso haben Sie ein Interesse daran, Pitz?« Herbergh sah den Krankenpfleger forschend an. »Jetzt sagen Sie bloß … Sie und Julia …«
»So ist es, Chef.« Pitz hielt Herberghs Blick standhaft aus. »Wir lieben uns.«
»Und ich habe davon nichts gemerkt.«
»Wir haben uns bemüht, so heimlich wie möglich …«
»Schon gut, Pitz. Keine Einzelheiten.« Dr. Herbergh beugte sich über Starkes Kopf. Pitz fädelte die erste Nadel ein. »Da Sie nun gerade bei der Beichte sind, haben Sie Dr. Starke niedergeschlagen?«
»Leider nein, Chef.«
»Das ›leider‹ war zuviel, Pitz.«
»Ich hätte es aber getan, wenn ich ihn vor Julias Tür angetroffen hätte. Er ist ein Schwein.«
»Pitz!«
»Er ist es, Chef. Als Arzt ist er hervorragend, aber als Mensch eine miese Type. Sie mögen ihn ja auch nicht, Chef.«
»Wer sagt denn solchen Unsinn?« Dr. Herbergh setzte nach dem ersten Knoten die Nadel ab. Seine Finger waren einen Moment lang unsicher. Was hatte Pitz gesehen? Sprach man an Bord schon darüber? Womit hatte er sich verraten? Kein böses Wort war bisher zwischen ihm und Dr. Starke gewechselt worden, es war immer eine kollegial-freundliche Beziehung zwischen ihnen gewesen, eine konventionelle Freundlichkeit, mehr allerdings auch nicht. Zwischen ihm und Dr. Starke war immer ein Graben gewesen, über den hinweg man miteinander sprechen konnte, aber die Trennungslinie war unverkennbar. Seit wann eigentlich? Die Antwort auf diese Frage war erstaunlich und entlarvend: Seit dem Augenblick, an dem Starke mit seinem geballten Charme Anneliese traktierte.
Ich habe sie vom ersten Blick an geliebt, dachte Dr. Herbergh. Von dem Moment an, als wir uns in Singapur im Mandarin-Hotel trafen und Hörlein uns gegenseitig vorstellte. Es war wie ein elektrischer Schlag, der mich traf, und von dieser Sekunde an war mir Starke unsympathisch.
»Rufen Sie Julia an, Pitz!« mahnte Dr. Herbergh. »Ich will jetzt Klarheit haben, nicht morgen früh, wenn man genug Zeit hatte, sich Lügen zurechtzulegen.«
Pitz nickte und ging zum Telefon. Es dauerte wirklich lange, bis Julia von dem Klingeln aufwachte und sich meldete.
»Du sollst herkommen!« sagte Pitz verbiestert. »In den OP!«
»Jetzt? Biste verrückt?« Er hörte Julia kräftig gähnen. »Unfall?«
»Der Chef will dich sprechen.«
»Mitten in der Nacht?«
»Frag ihn selbst.« Pitz hängte ein. »Sie kommt«, meldete er Dr. Herbergh.
Dr. Herbergh hatte die Naht beendet. Dr. Starke begann leise zu röcheln und atmete stärker durch. Alkoholgeruch breitete sich aus. Jeder Atemzug war voll davon. Pitz zog ein Tuch über Dr. Starke bis zum Hals.
»Mein lieber Mann«, sagte er, »hat der einen geladen! Sollen wir ihn zurückbringen in seine Kabine, Chef?«
»Gleich. Wartet Starkenburg noch draußen?«
»Ich nehme an.«
»Vielleicht kann Dr. Starke von selbst gehen, wenn er wach ist. Die paar Schritte schaden seiner Gehirnerschütterung nicht.«
Es klopfte, und dann stürzte Julia in den OP. Sie sah aufreizend verführerisch aus, ihr rosa Bademantel mit der Spitzenpaspelierung stand offen, darunter sah man auf ihr knappes Babydoll.
Pitz verdrehte die Augen und drehte sich um. So ein Weib braucht einen Waffenschein, dachte er. Sie kann jeden Mann umbringen.
Julia war in heller Aufregung. Sie sah zwar eine Gestalt zugedeckt auf dem OP-Tisch liegen, konnte sie aber von der Tür aus noch nicht erkennen.
»Was ist passiert?« rief sie mit ihrer hellen, kindlichen, so gar nicht zu ihrem Körper passenden Stimme. »Vor meiner Tür ist eine Blutlache. Der Mann da? Sie wollten mich sprechen, Chef?« Sie kam näher. »Wer ist es denn? Oh … Wilhelm … Mein Gott!«
»Stimmt. Dr. Starke. Seit wann nennen Sie Dr. Starke Wilhelm?«
Eins konnte man Julia nicht nachsagen: Sie reagierte sofort und verblüffend überzeugend: »Alle nennen sie ihn doch Wilhelm.« Ihr plötzlicher, unschuldsvoller Augenaufschlag setzte auch Dr. Herbergh außer Gefecht. »Wenn wir unter uns von Dr. Starke sprechen, sagen wir immer Wilhelm. Nicht wahr, Johann?«
Pitz gab keine Antwort. Mit zusammengepreßten Lippen stand er am Fußende des OP-Tisches.
»Haben Sie eine Erklärung dafür, Julia?« fragte Dr. Herbergh.
»Wofür, Chef?«
»Was wollte Dr. Starke vor Ihrer Tür?«
»Das müssen Sie Dr. Starke fragen«, antwortete Julia schlagfertig. »Ich habe nichts gehört. Ich habe fest geschlafen.« Sie hob das Stupsnäschen und schnupperte. »Ist er betrunken?«
»Auch. Aber nun packen Sie
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