Das goldene Meer
Hören Sie das, Fred?! Ich nehme an, schöne Kollegin. Wir gehen ins Bett.«
»Sie!«
»Ich fühle mich so munter, daß ich mich nur mit einem herzberuhigenden Grund hinlege.«
Er war wohl wieder der alte Dr. Starke, der Charmeur, der Sprücheklopfer, der Sieggewohnte und Aufdringliche. Anneliese hob wie zur Abwehr beide Hände. Dr. Herbergh, früher von Eifersucht geschüttelt, fand Dr. Starke jetzt nur noch komisch. Bei passender Gelegenheit sollte man ihm sagen, wie es wirklich zwischen Anneliese und ihm stand, dann hörten diese Siegerposen sicher auf.
»Was macht Ihre Seekrankheit?« fragte Anneliese.
»Auch wenn Fred es anzweifelte, seine Ingwerwurzeln haben Erfolg gezeigt. Sie sehen es doch, schöne Kollegin, – ich bleibe auf den Beinen, ohne grün zu werden.«
Er ging, die heftigen Schwankungen des Schiffes so gut wie möglich ausgleichend, zu dem Schrank, in dem der Arztkoffer stand, kontrollierte den Inhalt, packte einige elastische Binden dazu, Schmerztabletten und aus dem Pflastergeber an der Wand eine Menge Pflaster aller Größen. Aus einem anderen Schrank holte er vier Schienen und einige Lagen Zellstoff.
»Wie wollen Sie das alles heil über Deck bringen?« fragte Anneliese. »Sie brauchen mindestens eine Hand, um sich festzuhalten. Und wenn Sie unten angekommen sind, sind Sie klatschnaß.«
»Ich werde zwei Hände frei haben.« Dr. Starke nahm die Arzttasche und klemmte sich die Schienen unter den Arm. »Ich binde mir alles um den Hals, und darüber kommt die Regenhaut.«
»Ihnen ist nicht zu helfen.« Dr. Herbergh verband den Stirnriß. Der verletzte Vietnamese grinste dankbar. »Auf dem Deck ist von hier bis zum Kran ein Seil gespannt worden. Vom Kran geht ein zweites Seil bis zum Niedergang. Daran müssen Sie sich entlanghangeln. Wilhelm, was Sie tun wollen, ist Wahnsinn! Der erste Brecher spült Sie weg. Sie haben noch nicht die Kraft, sich gegen diesen Aufprall festzuklammern.«
»Aber die Verletzten brauchen uns. Zwei Brüche, Fred. Die gequetschten Kinder! Ich will es wenigstens versuchen.«
Dr. Starke spitzte die Lippen, warf Anneliese ein Küßchen zu, was Herbergh ziemlich flegelhaft fand, und verließ das Hospital. Im Vorzimmer drängten sich die Verletzten, in der Mehrzahl Männer, triefend von Meerwasser, durchnäßt bis auf die Haut. Die fünfzig Meter Weg über Deck, an den Halteseilen entlang, waren ein Rennen wie durch einen Wasserfall gewesen.
In seiner Kabine zog Dr. Starke seine hohen Gummistiefel an, hängte sich an einem breiten Riemen den Arztkoffer um den Hals und darüber, zusammengebunden mit einer gerollten Mullbinde, die Schienen und den in einer Plastikhülle steckenden Zellstoff. Über den Kopf zog er eine wollene Pudelmütze und dann die Regenhaut aus farblosem Nylon.
Ausschlaggebend für seine erstaunliche neue Kraft war ein Anruf von Hung gewesen. »Herr Doktor«, hatte Hung gemeldet, »ich habe Erfolg gehabt. Ich kenne den Freund von Phing. Seit drei Tagen, seit Beginn des Sturms, sitzt er an ihrer Seite und hält sie fest, wenn das Schiff schaukelt. Er heißt Thai Cong Ky, ist dreiundzwanzig Jahre alt und war Mechaniker in der Kommune Roter Stern. Wegen Verteilung eines hetzerischen Flugblattes hat er zwei Jahre im Straflager von Chau-phu gesessen. Sein Rücken ist voller Peitschennarben.«
»Kann er es gewesen sein, der mich niedergeschlagen hat?« fragte Dr. Starke.
»Ich weiß es nicht, Herr Doktor. Wer sieht einem Menschen das an? Möglich kann es schon sein …«
»Du bist ein guter, brauchbarer Fettsack, Hung. Hol dir die zweihundert Dollar ab.«
»Danke, Herr Doktor.«
Der Gedanke, Phings Freund gegenüber zu stehen und den Mann zu sehen, der ihm hinterrücks den Schädel hatte einschlagen wollen, ließ Starke nicht mehr los. Er grübelte darüber nach, wie er unter Deck zu den Vietnamesen kommen könnte, mit welcher Begründung er das Liegegebot Dr. Herberghs aufheben könnte, bis er auf den Trick kam, ärztliche Hilfe sei dringend nötig. Er erfand die zwei Knochenbrüche und die verletzten Kinder, und der Erfolg hatte ihm recht gegeben. Dr. Herbergh hinderte ihn nicht daran, seine Pflicht als Arzt zu tun.
Der Weg bis zum Niedergang war versperrt durch tosende Brecher, die schäumend über den Bug kamen und sich auf das Deck stürzten. Dr. Starke blieb einen Augenblick an der noch schützenden Wand des Deckshauses stehen und starrte in dieses Wasserinferno. An den Seilen zogen sich gerade zwei Vietnamesen vorwärts, von dem
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