Das goldene Meer
Sarg.
»Ich übergebe dich dem Meer«, sagte er wieder, »Gott sei dir gnädig …«
Kroll zog den Hebel an, die Klappe fiel nach unten, Thuy rutschte aus dem Sarg, aber nur bis zur Brust. Dann hing er fest, Stellinger und Kroll kippten den Sarg noch stärker und schüttelten ihn. Aber Thuy rührte sich nicht.
»Scheiße!« schrie Kroll. »Warum kommt er nicht?«
»Für'n Patent reicht's noch nicht, Fritz.« Stellinger ließ Kroll allein den Sarg hochhalten und beugte sich weit vor zum Fußende. Dr. Herbergh und Büchler hielten ihn an Hose und Jacke fest.
Eine große Welle schüttelte das Schiff durch. Herbergh und Büchler krallten sich in Stellinger fest. Kroll hatte das Kopfteil des Sarges auf seine Schulter gestemmt, steiler ging es kaum noch, und jetzt sauste Thuys Körper in das aufschäumende Meer. Büchler und Herbergh rissen Stellinger wieder zurück. Er hielt sich am Sarg fest, setzte sich dann auf ihn und wischte sich den Schweiß aus den Augen. Mit schiefem Gesicht stand Kroll daneben.
»Noch heute zerhacke ich das Mistding!« Stellinger hieb mit der Faust auf den Sarg.
»Es ist ja alles gut gegangen, Franz.« Büchler klopfte ihm auf die Schulter. Er sah hinüber zu Ut, die in ihrer Decke aussah wie eine kleine Fledermaus. Sie hatte stumm zugeschaut und die Augen nur geschlossen, als Thuy in die Wellen klatschte. »Ich möchte wissen, was sie jetzt denkt.«
»Diese Idioten, und damit hat sie recht.« Stellinger stand von dem Klappsarg auf, gab ihm einen Tritt und warf Kroll einen giftigen Blick zu. Der hob wortlos und um Entschuldigung bittend die Schulter.
»Gehen wir.« Anneliese legte den Arm um Ut. »Wir können noch zwei Stunden schlafen.«
»Das ist ein gutes Wort.« Stellinger dachte an Kim, die auf ihn wartete.
Der Patentsarg aber war verschwunden, als Stellinger ihn später zerhacken wollte. Fritz Kroll war nicht bereit, das Versteck zu verraten. Auch der dienstliche Befehl, den Stellinger ihm als Oberbootsmann gab, bewirkte nichts. Kroll weigerte sich.
»Ich finde ihn!« schrie Stellinger und ballte die Faust. »Bis Manila habe ich jeden Winkel durchsucht. Noch einmal blamierst du mich nicht!«
Doch im Augenblick gab es Wichtigeres zu tun; sie lagen inzwischen mitten im Ausläufer des Sturmes. Dr. Herbergh und Anneliese versorgten pausenlos Verletzte mit Prellungen und Kratzern, Verstauchungen und Platzwunden.
Am vierten Sturmtag klappte die Tür des Untersuchungszimmers auf und schlug gegen die Wand. Das Schiff ritt wieder auf einer Riesenwelle. Dr. Herbergh und Anneliese arbeiteten an zwei Stühlen. Auf dem einen saß ein Mann mit einem Riß der Stirnhaut und wurde verbunden, auf dem anderen hockte eine Frau mit einer Schulterprellung. Julia und Pitz versorgten auf der Station die bettlägerigen Kranken.
»Tür zu!« rief Dr. Herbergh, ohne sich umzudrehen.
Bei der nächsten Welle krachte sie wieder zu.
»Die Tür ist schneller als ich«, sagte Dr. Starke. Dr. Herbergh fuhr herum.
»Was machen Sie denn hier? Zurück ins Bett!«
»Ich will Ihnen helfen, Fred.« Dr. Starke war angezogen und hatte seinen weißen Arztkittel übergestreift. »Büchler hat mir erzählt, was hier los ist. Verbinden, verpflastern, einrenken, Salbe schmieren, das kann ich schon wieder. Nur bei Injektionen bitte ich um Nachsicht, da ist meine Hand noch nicht sicher genug.«
»Wilhelm!« Dr. Herbergh schüttelte den Kopf und tupfte dabei das Blut aus dem Stirnhautriß. »Ich freue mich natürlich, daß Sie helfen wollen, aber Sie gehören noch ins Bett! Das wissen Sie genau. Blicken Sie in den Spiegel und sehen Sie sich Ihre Augen an, dann wissen Sie alles!«
»Draußen warten mindestens dreißig Lädierte.«
»Das weiß ich.«
»Und was unter Deck los ist, wissen Sie auch? Die meisten Verletzten kommen gar nicht hierher. Sie liegen auf ihren Holzplatten, klammern sich fest und rollen doch durcheinander. Hung sagt, die meisten Quetschungen haben die kleinen Kinder. Aber keine Mutter wagt es, mit ihrem Kind über das Deck zu rennen. Die Brecher würden sie wegfegen. Ich werde mich um die Verletzten in den Lagerräumen kümmern, das wollte ich Ihnen nur sagen. Und ich wollte mir das Nötigste holen. Es sollen auch zwei Brüche dabei sein, sagt Hung.«
»Ich werde sie versorgen.« Anneliese nickte ihrer Patientin zu, die erhob sich vom Stuhl und ging hinaus. Vor Dr. Starke machte Anneliese im Vorbeigehen eine Verbeugung und sagte: »Sie, Wilhelm, bringe ich wieder ins Bett.«
»Welch ein Angebot!
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